Falls hierzulande etwas in Schieflage gerät, schauen wir gern dorthin, wo Standards noch intakt sind. Dazu bietet sich oft Deutschland an, zumal uns dessen zehnfache Bevölkerung die Ausrede erlaubt, wir würden ja, wenn wir größer wären. Im Medienbereich üben die verfreundeten Nachbarn aber aktuell den Umkehrschub. Die erste grüne Kanzlerkandidatin lässt journalistische Sicherungen durchbrennen. Dass Annalena Baerbock am Abend nach ihrer Nominierung ProSieben für 45 Minuten Live-Interview zur Verfügung stand, darf – je nach Blickwinkel – als Statement oder Coup gelten. Sie hat den Privatsender als Wink mit dem Zaunpfahl zur ARD gewählt, der bevorzugten Arena von Angela Merkel für ihre raren Fernsehauftritte. Die Kanzlerin gewährte so etwas zuletzt Ende März in Form eines lammfrommen Solo-Talks bei Anne Will.