Sie spielen die Architektin Marie, die an Multipler Sklerose erkrankt. Eine heftige Erfahrung. Wie haben Sie sich auf diese Rolle vorbereitet?
Julia KOSCHITZ: Ich habe mit Betroffenen und deren Angehörigen gesprochen und viel darüber gelesen. Es kam immer wieder der Satz vor: Erst mal wehrt man sich gegen die Diagnose und gegen alles, was diese Krankheit an Horrorszenarien aufbaut. Wirklich besser geht es einem erst, wenn man sie akzeptiert und sich auf eine Lebensumstellung einlässt.


In dem Film gibt es auch einige sehr witzige Szenen, vor allem mit der Schwester. Wie wichtig ist Humor, um eine Botschaft rüberzubringen?
Ich persönlich empfinde Humor als Lebensretter. Und in Dramen, ob im Film oder der Literatur, gibt Humor einem die Möglichkeit, immer wieder durchzuatmen, während man sich auf ein unangenehmes Thema einlässt. Das Leben selbst ist ja auch nicht immer schwarz-weiß. In dieser Geschichte ist die Schwester, die Franziska Weisz spielt, die einzige, die in ihrer Unverblümtheit und Direktheit ein adäquater Gesprächspartner für Marie wird, die darunter leidet, dass sie nur noch als Opfer gesehen wird.


Marie sagt ja auch, sie wolle nicht ständig aus Rücksicht angelogen werden.
Genau. Sie will nicht als Opfer gesehen werden. Das Schreckliche für Marie ist ja der Verlust an allem, was ihr wichtig war. Ihr Wertesystem wird komplett umgeworfen und ihr Selbstbild als erfolgreiche die Familie ernährende Architektin, als junge agile Mutter, die mit ihrem Sohn klettern geht, als immer noch begehrenswerte Frau, die ein immer noch aktives Liebesleben führt ... diese Frau wird in allen Belangen reduziert. Und das Schrecklichste überhaupt ist als Verlierer und als Opfer gesehen zu werden. Sie muss sich neu definieren. Diese Entwicklung muss auch jeder in ihrem Umfeld einmal durchgehen, um zu begreifen, dass sich vieles geändert hat. Sie müssen lernen, dass die betroffene Marie nicht zu bemitleiden ist, dass sie nicht geschont, sondern ernst genommen werden will. Und dass sie trotzdem noch ein glückliches, erfülltes Leben vor sich hat.


Marie steigt mit ihrem Sohn in eine recht anspruchsvolle Wand zum Klettern ein. Würden Sie das mit einem Kind auch machen?
Ich würde es nicht einmal alleine machen (lacht), aber ich bin mir sicher, dass diejenigen, die mit ihren Kindern klettern gehen wissen, was sie ihnen zumuten können. Ich glaub, ich hab mich mehr gefürchtet als Jeremy, mein Filmsohn.


Sie haben eine Interpol-Agentin gespielt, eine Investment-Bankerin, eine Bankräuberin, eine Selbstmörderin ... also alles quer durch und immer sehr überzeugend. Gäbe es eine rote Linie? Anders gefragt: Können Sie sich vorstellen, eine Figur nicht zu spielen?
(Pause)


Oder gibt es das nicht?
Doch. Es gibt Figuren, die ich nicht spielen würde, weil ich überzeugt bin, dass ich sie nicht gut beziehungsweise glaubwürdig spielen kann.


Wären das dann menschenverachtende Charaktere?
Nein. Aber Figuren, die von mir so weit weg sind, dass ich sie weder aus meinem Erfahrungsspektrum gestalten, noch irgendeine Brücke zu mir bilden kann. Man kann, sollte auch glaube ich, nicht sein naturell verleugnen. Wenn eine Figur so anders wirkt, als ich selber, dass ich sie nicht authentisch rüberbringen kann, von denen würde ich die Finger lassen. Die werden einem aber ehrlich gesagt auch selten angeboten. Aber das Ziel für mich als Schauspielerin ist natürlich trotzdem, den Spielraum so weit und so groß wie möglich zu halten.


Sie stecken mitten in weiteren Dreharbeiten. Dürfen Sie schon etwas verraten?
Ich springe zurzeit von einem Projekt zum nächsten. In Kürze beginnen die Arbeiten zu einem Film, der Theodor Fontanes „Unterm Birnbaum“ als Vorlage hat. Allerdings spielen wir es in der Gegenwart, mit Fritz Karl und Uli Edel in der Regie. In den letzten Monaten durfte ich in sehr unterschiedliche Rollen und Genres hineinschlüpfen. Ich habe ein Familiendrama, einen Psychothriller, ein Sozialdrama und eine schwarzhumorige Krimigeschichte gemacht.


Jetzt sind Sie seit 2004 hauptsächlich beim Film beschäftigt. Haben Sie sich komplett von der der Bühne verabschiedet oder gibt es ein Zurück?
Das war kein Abschied für immer. Ich habe gerade im Jänner eine Premiere gehabt von einem Einpersonenstück „Bilder deiner großen Liebe“ von Wolfgang Herrndorf am Kleinen Theater in Landshut. Ich versuche immer wieder zwischen meinen Dreharbeiten zu spielen. Auch wenn es schwer zu vereinen ist, möchte ich auch in Zukunft meinen Fuß noch auf eine Bühne trauen können.


Der Film kommt zum Welt-MS-Tag ins Fernsehen. Wie wichtig ist Ihnen das?
An diesem Tag werden sicher einige Dokumentationen zu dem Thema laufen, vielleicht sprechen wir auf diese Weise damit auch mehrere Leute an. Ich hoffe es zumindest. Aber der Film sollte auch an einem anderen Tag funktionieren, weil die Krankheit in unserer Geschichte stellvertretend ist für einen schweren Schicksalsschlag, der das Lebenskonzept dieser Frau und ihrer ganzen Familie erst einmal komplett über den Haufen wirft. Bei allem Unglück, das diese Diagnose mit sich bringt, trägt sie auch eine Chance auf eine positive Veränderung in sich.