Herr Wehrschütz, wir erreichen Sie bei Ihrer Arbeit in Kiew. Wie geht es Ihnen?
Christian Wehrschütz: Wir bereiten ein Weltjournal vor zum Thema: „Ukraine – fünf Jahre nach der Revolution auf dem Maidan“. Natürlich sind die Gefühle gemischt; Journalisten sind viel schwieriger zu schützen als Politiker.

Kiew verweigert Ihnen die Akkreditierung. Ihr Name kursiert in der Ukraine auf schwarzen Listen. Sind Sie ernsthaft in Gefahr?
Für die Ukraine an sich gibt es keine Akkreditierung; es geht nur um die Akkreditierung für die Gebiete auf der ukrainischen Seite der Frontlinie, die mir seit Dezember zum ersten Mal seit fünf Jahren verweigert wird. Begründung gab es keine aus Kiew. Nun zur Gefahr: Westliche Medien-Wachhunde haben viele Fälle von Angriffen auf Journalisten und Aktivisten von NGOs dokumentiert. Ich werde auf Webseiten als antiukrainisch und prorussisch diffamiert. Diese Verleumdung könnte eine Vorstufe zu körperlichen Angriffen sein.


Was wird Ihnen vorgeworfen?
Beihilfe zum illegalen Grenzübertritt, weil ein lokales Drehteam die Krim-Brücke für den ORF gedreht hat. Das ist der untaugliche Versuch, die Einschränkung meiner journalistischen Freiheit nachträglich zu rechtfertigen. Das ukrainische Außenministerium brauchte dazu fast sieben Monate.

Ist was dran an den Vorwürfen?
Nichts ist dran! Ich habe die Gesetze der Ukraine stets befolgt und bin mit ukrainischer Sondergenehmigung auf die Krim eingereist. Dort habe ich mit einem lokalen Drehteam, das auf der Krim akkreditiert ist, gearbeitet. Ohne russische Akkreditierung kann auf der Halbinsel Krim weder ein Team drehen noch ein Journalist arbeiten. Dieses Team drehte die Krim-Brücke, während ich in der Stadt Kertsch blieb, um keinen illegalen Übertritt auf russisches Territorium zu begehen. Bilder der Brücke verwenden auch ukrainische TV-Sender.

Wie wirken sich die Schikanen auf Ihre alltägliche Arbeit aus?
Verhindert wird damit, dass ich über das Elend der Bewohner in den frontnahen Gebieten auf ukrainischer Seite berichten kann. Sollte Russland über das Asowsche Meer angreifen, eine hypothetische Annahme, so dürfte ich auch nicht berichten. Die Frage nach der Sinnhaftigkeit dieser „Medienpolitik“ müssen Sie dem Außenministerium in Kiew oder seinem Vertreter in Wien stellen.

Sie haben den Krieg in der Ukraine und die Folgen des Zerfall Jugoslawiens hautnah miterlebt. Kann man aus einem Krieg überhaupt neutral berichten?
Natürlich kann man das, wenn man die journalistische Sorgfalt und die innere Distanz wahrt.

Was tut die Bundesregierung in Wien, um Ihnen zu helfen?
Auf diplomatischer Ebene hat die Regierung – Kanzler, Außenministerin, Parlamentspräsident – viel unternommen, denn die Probleme begannen bereits vor mehr als sechs Monaten. Ob das jene in Wien und Kiew beeindruckt, die diese Situation heraufbeschworen haben, wird man sehen. Bisher war Papier vor allem geduldig.

Warum tun Sie sich das alles an?
Das liegt vielleicht an meinem Charakter. Ich weiche erst, wenn es gar nicht anders geht. Ich habe auch eine Verantwortung für meine Mitarbeiter, die keinen EU-Pass haben. Außerdem wird in der Ukraine im März der Präsident gewählt. Aber auch in der Ukraine darf man nicht alle Institutionen in einen Topf werfen. Es gibt viele Behörden und politische Kräfte, mit denen wir normal zusammenarbeiten. Das Land ist weit besser als die Personen, die diese Kampagne gegen mich führen und für mein Gefühl persönlicher Unsicherheit verantwortlich sind.

Was sagt Ihre Familie?
„Hau den Hut drauf!“ Meine Frau, meine Kinder und auch meine kleine Enkeltochter waren gerne in Kiew, weil die Menschen nett sind und das Land schön ist. Ich wollte, dass mein Vier-Mäderl-Haus die Ukraine ebenso kennenlernt wie den Balkan. Seit Beginn der Diffamierung herrscht die einhellige Meinung, dass ein Besuch erst wieder infrage kommt, wenn ich auf keiner Proskriptionsliste mehr stehe und meine persönliche Sicherheit wieder völlig gewährleistet ist.