Die politischen Angriffe auf den ORF haben die Reden bei der Verleihung des "Robert-Hochner-Preis" und des "Kurt-Vorhofer-Preises" Dienstagnachmittag dominiert. Bundespräsident Alexander Van der Bellen bezeichnete es als unangebracht, aus Verärgerung heraus das Recht auf Kritik einschränken zu wollen. Hochner-Preisträger Stefan Kappacher verteidigte seine ORF-Kollegen gegen Kritik aus der FPÖ.

Ebenfalls ausgezeichnet wurde Ernst Sittinger: Der Innenpolitik-Redakteur der Kleinen Zeitung ermahnte seine Branche, nicht in eine Art Effekthascherei zu verfallen: "Die Ablenkungsökonomie lebt vom K(l)ick des billigen Effekts. Je genauer die Maschinen zählen, desto wichtiger wird echter Journalismus." Die vollständige Rede können Sie hier nachlesen.

Hier die Rede von Stefan Kappacher

Das ist der Versuch, hinter die Kulissen zu blicken, wie wir das seit einem Jahr Monat für Monat im Ö1-Medienmagazin #doublecheck machen. Wir – das sind auch meine tollen Kolleginnen Nadja Hahn und Rosanna Atzara, die beide ihren Anteil an diesem Preis haben. Und dazu gehört auch unser Chefredakteur Hannes Aigelsreiter, der mit mir um das Zustandekommen dieser Sendung gekämpft hat und uns jetzt den Rücken freihält. Danke dafür. Das ist nicht selbstverständlich.

Der Versuch also, hinter die Kulissen zu blicken. In diesem Fall ist es ja eine Drohkulisse, die Norbert Steger gemeinsam mit FPÖ-Mediensprecher Hans-Jörg Jenewein und Vizekanzler Heinz-Christian Strache aufgebaut hat. Steger hat sich nicht gegen dieses Wort gewehrt, als ich es ihm vorgehalten habe. Er hat vielmehr gemeint, seine Drohkulisse habe schon gewirkt, weil Armin Wolf nicht mehr böse schaut, wenn ein Blauer zu ihm ins Studio kommt. Man weiß nicht: soll man böse schauen oder weinen, wenn man das hört.

Das ewige Interesse der Parteien am ORF

Faktum ist: Parteien haben Interessen am ORF und die verfolgen sie. Das haben die Sozialdemokraten in all den Jahren gemacht, als sie im Bund mächtig waren. Das hat auch die ÖVP immer schon gemacht, und sei es über die Bande sagen wir in Niederösterreich. Und die FPÖ wollte es immer schon machen. „Wenn wir Freiheitliche mehr zu sagen haben, dann werden wir dafür sorgen, dass nicht mehr soviel gelogen wird in den Redaktionsstuben.“ Das hat Jörg Haider bereits Anfang der 1990-er Jahre angekündigt.

In der schwarz-blauen Koalition ab dem Jahr 2000 ist das dann umgesetzt worden. Armin Wolf hat in seiner Rede als Hochner-Preisträger 2006 in puncto Parteieneinfluss auf den ORF von einem „Gleichgewicht des Schreckens“ gesprochen, von dem „nur der Schrecken geblieben“ sei. Die Rede blieb nicht ohne Folgen, bald wehte ein neuer Wind. Es kamen Jahre von beachtlicher journalistischer Unabhängigkeit im ORF.

Strategie der Mächtigen ist heute anders

Heute hat der Wind wieder gedreht. Und die Strategie der Mächtigen ist eine völlig andere. Der Eine macht den ORF und seine Mitarbeiter mit einem Posting auf Facebook schlecht und wirft ihnen Lüge vor, später sagt er dann, das sei nur ein Scherz am Faschingsdienstag gewesen. Der Andere spricht vom Eisenbesen und versichert, dass man damit eh nicht durch die Redaktionen fahren werde. Ein Dritter richtet den Redakteuren aus, dass sie nur brav sein müssen, vor allem in den Sozialen Netzwerken. Dann wird auch niemand entlassen.

Fouls und Nadelstiche, von denen sich die FPÖ-Vertreter im nächsten Interview oder spätestens nach dem öffentlichen Aufschrei dagegen wieder distanzieren. Die ÖVP schweigt – und wer schweigt stimmt zu, sagt eine alte Volksweisheit. Übrig bleibt: der ORF ist ein linkslastiger Haufen, der nicht korrekt und einseitig berichtet. Ein haltloses Vorurteil, das damit von Regierungsseite noch verstärkt wird. Das Muster ist ähnlich wie bei den selbsternannten alternativen Medien, die mit der FPÖ sympathisieren und seit deren Regierungseintritt neue Feindbilder gesucht haben. Sie haben diese im ORF und in unliebsamen Journalisten gefunden. Nur dass diese von FPÖ-Politikern gern geteilten Internet-Plattformen regelrechte Hetze betreiben.

Den ORF bashen & den Boulevard teilen

Apropos Inhalte teilen. Norbert Steger, der langjährige Stiftungsrat, hat festgestellt: „Der ORF muss, was nicht ganz leicht ist am Schirm, genauso wie Printjournalisten unterscheiden zwischen Berichterstattung und Meinung.“ Dazu gibt es zwei Dinge zu sagen. Erstens: der ORF, ob Radio oder Fernsehen, achtet selbstverständlich auf diese Trennung. Wir nennen das Bericht und Analyse. Schaltungen zu Auslands-Korrespondenten sind in der Regel eine Analyse – und da darf dann schon auch einmal ein kritisches Wort vorkommen über einen, der in unserem Nachbarland gerade das Ende der liberalen Demokratie ausgerufen hat. Möchte man meinen.

Und zweitens: es gibt in Österreich durchaus Printmedien mit sehr großer Reichweite, die es mit der Trennung von Berichterstattung und Meinung gelinde gesagt überhaupt nicht genau nehmen. Und es ist ausgerechnet die FPÖ, die über die starken Facebook-Seiten zum Beispiel von Heinz-Christian Strache einschlägige Beiträge der besagten Printmedien – da kann auch einmal eine Falschmeldung darunter sein – permanent im Netz weiterverbreitet und so deren Zugriffszahlen erhöht.

Fazit: Journalismus ist gut, wenn er die eigene Position bestärkt. Er ist schlecht, wenn er die eigene Position kritisiert. Das nenne ich wehleidig.

Der ärgerliche Mangel an Fehlerkultur

Diskreditiert werden die ORF-Journalisten, die jeden Tag unglaublich viele Sendeminuten füllen und einen guten Job machen. Natürlich passieren Fehler, aber glauben Sie mir, das trifft uns in den ORF-Redaktionen selber am meisten. Und wie wir uns ärgern, wenn aus falsch verstandener Kollegen-Loyalität ein Fehler nicht eingestanden wird. Wenn in einer Art Wagenburg-Mentalität Ausreden gesucht werden, wo es keine gibt. Wenn die Entschuldigung ausbleibt, die notwendig wäre.

Ob es der manipulative Schnitt in einer Wahlkampfreportage im Olympischen Dorf in Innsbruck war, als die Entschuldigung reichlich spät gekommen ist. Oder ob es ein missglückter Kulturmontag mit dem Kulturminister und einem Bruegel-Gemälde im Studio war – was der Opposition die Gelegenheit gegeben hat, gegen parteipolitische Einflussnahme aufzutreten und dann postwendend selber parteipolitisch Einfluss zu nehmen. Die ÖVP machte aus diesem Oppositionsprotest dann genüsslich einen – Zitat –  „Angriff auf die Pressefreiheit“.

Klarheit & Transparenz als Basis für Akzeptanz

Geht’s noch? möchte man allen Beteiligten – auch jenen im ORF – zurufen. Genauso wie den Machern jener Seitenblicke-Sendung, die kürzlich einen hochpolitischen gerichtsanhängigen Fall rund um die Tiroler Festspiele in Erl thematisiert und dabei einen unerschrockenen Blogger aus dem Ötztal – er heißt Markus Wilhelm – vorverurteilt haben. Ja, der Kläger ist ein bekannter Industrieller und ORF-Stiftungsrat. Das ändert aber nichts daran, dass so ein Beitrag indiskutabel ist. Das geht nicht. Deswegen arbeiten wir in der Redakteursvertretung an Richtlinien für eine Fehlerkultur.

Denn wir sind uns bewusst: Klarheit und Transparenz sind wichtig für die Akzeptanz beim Publikum, bei den Gebührenzahlern. Daran arbeiten wir ohnehin Tag für Tag – und nicht indem wir brav sind, sondern indem wir die Politik kritisch begleiten und ebenso kritisch darüber berichten. Norbert Steger hat im Interview zu mir gesagt: „Sie dürfen auch kritisch sein.“ Das ist freundlich, aber es ist falsch. Denn wir müssen kritisch sein. Deshalb haben wir auch die Akzeptanz beim Publikum, mit den Ö1-Journalen, aber auch mit #doublecheck und das Fernsehen mit der ZIB2 und dem Report.

Vom Sparzwang zu Bedarfszuweisungen?

Wenn etwas die Akzeptanz dieser Sendungen gefährdet, dann sind es andauernde Einsparungen, die die Radioinformation immer wieder an die Grenzen der Möglichkeiten bringen. Wenn etwas die Akzeptanz gefährdet, dann sind es Karrieristen, die jetzt mit dem neuen Wind in wichtige Führungsfunktionen geweht werden könnten und dann „liefern müssen“, wie es so schön heißt. Und wenn etwas die überragende Akzeptanz der unbequemen ZIB2 gefährden könnte, dann wäre es die Abschaffung des Sendungsteams, das die ZIB2 zu dem macht, was sie ist: eine Institution des unabhängigen Journalismus. Es wäre ein einfacher administrativer Akt, aber ein Stich ins Herz dieser Sendung.

Wer diese Zusammenhänge als Politiker nicht sehen will und die große Akzeptanz für die Informationssendungen des ORF ständig wegzureden versucht, der wird wohl einen Plan verfolgen. Noch einmal ein Zitat von Norbert Steger, das einen entscheidenden Hinweis enthält: „Die ORF-Journalisten müssen die Akzeptanz in der Bevölkerung haben, dass das Geld kommt. Dann werden Politiker für das Geld sorgen.“ Zitat Ende. „Bedarfszuweisungen der Politik“ an den ORF hat das ein geschätzter Kollege genannt. Gekoppelt an Wohlverhalten von ORF-Journalisten, füge ich hinzu. Das ist die absolute Horrorvision für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk.

Dänemark als abschreckendes Beispiel

Es wird über die Abschaffung der Gebührenfinanzierung des ORF diskutiert und über eine Finanzierung aus dem Budget, wie sie jetzt in Dänemark für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk DR beschlossen worden ist. Es ist das Ergebnis jahrelanger Attacken von Rechtspopulisten auf den Sender, und es ist verbunden mit einer 20-prozentigen Kürzung seiner bisherigen Mittel. Danmarks Radio muss zwei seiner Kanäle abschalten, hunderte Mitarbeiter und Zulieferer stehen vor der Kündigung. Das Medienunternehmen ist der Willkür der Politik ausgeliefert. Wollen wir das auch in Österreich?

Wenn es nach der FPÖ-Spitze geht, dann wohl ja. Die hat sich in der Frage so tief eingegraben, dass sie sich einen Umfaller nicht wirklich leisten kann. Die ÖVP-Führung schweigt dazu dröhnend. Nach innen sendet sie Signale, dass die Gebührenfinanzierung bleiben soll. Aber am Ende wird die Frage sein, wer stärker ist: Blau oder Schwarz. Dass die ÖVP die Koalition an dieser Frage scheitern lässt, ist unwahrscheinlich. Ein Volksentscheid als Ausweg wie bei #NoBillag ist möglich. Die Schweizer haben bei diesem Referendum mit überwältigender Mehrheit für die Beibehaltung ihrer Rundfunkgebühr gestimmt.

Wir ORF-Journalisten werden alles dazu tun, dass Österreich im Fall des Falles zur Schweiz wird. Wir sind dankbar dafür, im ORF unabhängigen Journalismus machen zu können, und wir werden weiter um diese Unabhängigkeit kämpfen. Ich sehe den Robert-Hochner-Preis in diesem Sinn als Ermutigung und als Auftrag. Vielen Dank für diese große Auszeichnung.