Totgesagte leben länger: Als James Delaney nach jahrelanger Abwesenheit in seiner Londoner Heimat auftaucht, hält sich die Freude über seine Rückkehr in Grenzen. Anfang des 19. Jahrhunderts ist sich offenbar jeder selbst der Nächste, wie die historische Dramaserie "Taboo" schnell deutlich macht. Am Freitag, 31. März,  startet diese beeindruckende, teils reichlich absurde Soloshow von Tom Hardy bei Amazon.

Raue Sitten

Vor 200 Jahren waren die Sitten noch rauer: Armut, Krankheit und Gewalt beherrschen die Straßen Londons, während die East India Company nicht nur die Regierung, sondern scheinbar gleich die ganze Welt fest im Griff hat. Gleichzeitig tobt am neuen Kontinent eine Auseinandersetzung zwischen der britischen Krone und den Vereinigten Staaten von Amerika, die für den künftigen Einfluss am Pazifik von wesentlicher Bedeutung ist. In dieses reale Geschehnisse aufgreifende Setting hat Hardy die Geschichte eines rachewütigen Aussteigers gesetzt.

Denn der britische Schauspieler ("Mad Max: Fury Road") übernahm für "Taboo" nicht nur die Hauptrolle, sondern steckt gemeinsam mit seinem Vater Edward "Chips" Hardy und Steven Knight ("Peaky Blinders") auch inhaltlich hinter dem Vorhaben. In acht Folgen begleitet man Delaney auf seinem Weg zurück, tritt er doch das Erbe seines Vaters an, der unter (zunächst) ungeklärten Umständen ums Leben gekommen ist. Weder seine Halbschwester Zilpha Geary (Oona Chaplin) noch die werten Herren der East India Company können viel anfangen mit dem Brummen des einsilbigen Rückkehrers, der zu allem Überfluss - und einem Testament sei Dank - einen strategisch wichtigen Streifen Land an der US-Westküste sein Eigen nennt.

Eine tüchtige Portion Mystery

Doch Delaney ist keineswegs ein gewöhnlicher Unternehmer: Er weiß zwar seine Karten (und seine beeindruckende Erscheinung) gut auszuspielen, allerdings dürfte nicht nur Profitoptimierung im Vordergrund stehen. In den ersten Episoden wird viel nur angedeutet, muss man - ebenso wie Delaney - eine Zeit lang im Trüben fischen, bevor sich Zusammenhänge und Vergangenes erschließen. Denn schließlich hat auch Afrika seine Spuren in dem bulligen Engländer hinterlassen, was der von Kristoffer Nyholm und Anders Engström inszenierten Serie zudem eine gehörige Portion Mystery verpasst.

"Taboo" lässt sich dabei Zeit und fokussiert prinzipiell ganz auf Hardy als undurchschaubaren, aber trotz seiner Grimmigkeit sympathischen Antihelden, der im Stile des Grafen von Monte Christo über unbegrenzte Ressourcen verfügt. Überstiegen wird das nur noch von seiner Entschlossenheit - nur worauf hat er es abgesehen? Rache an der East India Company, mit der ihn mehr verbindet, als es zunächst den Anschein hat? Ein Ausspielen von amerikanischen und britischen Interessen, was Spione offenbar möglich machen? Oder doch das Wiederfinden des eigenen Platzes in einer Gesellschaft, die nur wenig für ihn übrig hat?

Reich an Wendungen

Die Wendungen und Nebenschauplätze, sie dienen hier vorwiegend der kunstvollen Zeichnung einer gleichermaßen düsteren wie dichten Atmosphäre. Schritt für Schritt folgt man Delaney tiefer in das Londoner Dickicht, das weit über die eigentlichen Grenzen des Königreichs hinausreicht. Aber Platz gibt es hier nur für einen: Hardy spielt mit stechendem Blick und tief ins Gesicht gezogenem Hut (wahlweise ausgetauscht gegen eine Kapuze) seine Kollegen, darunter Franka Potente als holzschnittartige Bordellbesitzerin, an die Wand. Dass er dabei, gerade in einer historisch ansprechenden Umsetzung des London von 1814, wie ein in die Zeit zurückversetzter Superheld der brutalen Sorte wirkt, mag zwar seltsam aufstoßen, passt aber letztlich ins Konzept.

Denn mit einem zu realistischen Anspruch sollte man sich "Taboo" nicht nähern. Zwar wird hier vieles nachvollziehbar gestrickt, allerdings stürzen die diversen Kartenhäuser schnell in sich zusammen und bleibt man dann doch wieder am abenteuerlichen Grundton (der für Frauenfiguren kaum mehr als unterwürfige Nebenrollen parat hat) hängen. In punkto Spannung kann man der Serie, die bereits für eine zweite Staffel verlängert wurde, aber kaum etwas vorwerfen. Und es ist einfach ein Genuss, Tom Hardy hier zuzusehen.

  • "Taboo" ab 31. März wahlweise in englischer Originalversion oder deutscher Synchronfassung auf Amazon Prime Video