Vor einem Monat hat eine aktionistische Serie von Hanno Settele zu wenig Aufmerksamkeit auf X erreicht: „Retweete dieses Posting von (…) völlig wertfrei und ohne jede persönliche Zustimmung oder Abneigung zum Inhalt. Bin nämlich ORF-Mitarbeiter. Möchte daher meine Follower:innen, journalistisch einwandfrei korrekt, nur darauf hinweisen: Das gibt es. Ned mehr, ned weniger.“

Vor einer Woche hat eine neue Selbstverpflichtung des Rundfunk-Öffis zu wenig Beachtung gefunden: Der Ethikkodex des ORF wurde überschattet von seinem Transparenzbericht und dessen Liste mit 62 Mitarbeitern, die mehr als 170.000 Euro brutto im Jahr verdienen.

Settele gehört nicht dazu, aber er hat vorab auf den Punkt gebracht, dass die neuen Benimm-Regeln zum Maulkorb-Erlass taugen. Die Fibel geht davon aus, dass das Vertrauen der Öffentlichkeit eine der „wichtigsten Voraussetzungen für die Akzeptanz des ORF“ ist. Wer würde dem widersprechen? Dass „seine Mitarbeitenden frei von persönlichen, politischen und wirtschaftlichen Interessen handeln“ sollen, ist ein hehres Ziel – wie die Objektivität im Journalismus. Anzustreben, aber kaum erreichbar.

Deshalb werden die Gebote in konkreten Bereichen definiert: Nebenbeschäftigungen, Social Media, Unternehmenskommunikation, Interessenskonflikte und politischen Aktivitäten. Sie schießen bloß mitunter übers Ziel hinaus: So sind Medientrainings mit Personen verboten, „die potenziell als Interviewpartner:innen in Informationssendungen vorkommen.“ Wer weiß das?

Doch solch Überregulierung ist selten. Häufiger sind schwammige Formulierungen, die viel Spielraum für Interpretation lassen. Das könnte intern für einen Konfliktherd sorgen, bis es genug Musterfälle gibt. Die entscheidenden Vorgesetzten erhalten eine zusätzliche Machtposition durch den Ethikkodex, der die journalistische Individualität bei Kommentaren zu beschneiden vermag. Denn was heißt es, dass Meinungsäußerungen „stets an den Geboten der Sachlichkeit auszurichten“ sind? Es wird enger.

Weil so vieles Auslegungssache, gilt der Kodex bloß als erste Version, deren Praxistauglichkeit sich noch zeigen muss. Eine Untauglichkeit aber sticht sofort ins Auge: Er soll auch für Personen gelten, „deren Verhalten in der öffentlichen Wahrnehmung dem ORF zugerechnet werden kann.“ Das würde von Assinger über Prohaska und Weichselbraun bis Filzmaier reichen. Jeder, der dort öfter aufritt, gilt für „die Leut’“ als Mensch vom ORF. Wahrscheinlich brauchen sie künftig einen Insert-Ausweis nach dem Strickmuster: „Es gilt die Unschuldsvermutung.“ Settele fiele dazu sicher etwas ein.