Die Hennen gackern, der Hahn kräht und ein Arbeiter auf dem Traktor dreht seine Runden im Schlosspark in Prinzendorf, wo ein Porsche neben einem Käfer parkt. Ein Namensschild auf der Gittertür weist darauf hin, wer hier zu Hause ist: Nitsch. So nennt er sich selbst und alle anderen ihn auch. Während der Besuch traditionell zuerst in den mächtigen Schüttboden unters Dach und durch die Kapelle mit Sezierbesteck geführt wird, nimmt der Künstler selbst schwarz gekleidet und mit Hut auf einer Bank davor Platz.

Sie haben einen Vertrag mit den Wagner-Festspielen in Bayreuth für „Die Walküre“ unterschrieben. Angeblich ist es weder Regie noch Bühnenbild. Was genau darf sich das Publikum erwarten?
HERMANN NITSCH: Die letzte Arbeit, die ich in diese Richtung gemacht habe, war die Oper „Saint François d’Assise“ in München vor zehn Jahren. Ich wollte keine Bühnenarbeit mehr machen. Dann kamen die Bayreuther mit einem merkwürdigen Vorschlag. Sie haben mir erzählt, „Die Walküre“ werde konzertant aufgeführt – wie ein Oratorium –, und mich eingeladen. Ich kann in den drei Akten auf der Bühne machen, was ich will. Wir haben von beiden Seiten an eine Malaktion gedacht. Ich bin weder Bühnenbildner noch Regisseur. Ich versuche, auf den Farbenreichtum der „Walküre“ einzugehen. Es sind zehn Assistenten am Werk, ich selbst auch.

Wie beschreiben Sie als Künstler diesen Farbenreichtum?
Ich war mein ganzes Leben ein großer Verehrer des Werkes von Richard Wagner. Ich fühle mich sehr angeregt durch diese wunderbare Musik. Ich werde versuchen, dem sehr nahe zu kommen. Insofern hat es schon etwas mit einem Gesamtkunstwerk zu tun, meine Farben und jene von Wagner sollen mehr oder weniger synchron sein. Es gibt viele senkrechte Wände, alle drei Akte hindurch wird andauernd Farbe hinunterfließen. Die Farben werden sich überdecken. Unten auf der Bühne liegen ungefähr zwölf drei Mal zwei Meter große Bilder. Diese werden überschüttet und darauf werden sich die Akteure balgen. Vieles weiß ich selber noch nicht. Die Aktion baut auf Improvisation auf. Es wird eine Probe geben, eine Generalprobe, die Premiere und zwei weitere Aufführungen. Die Resultate werden immer anders sein. Natürlich werde ich mit meinem Farbreichtum auch auf den Feuerzauber eingehen. Es ist alles eine Verbalisierung. Das muss man dort erleben, auch ich selbst muss es dort erleben.

Ein Blick auf Schloss Prinzendorf
Ein Blick auf Schloss Prinzendorf © (c) Akos Burg

Stimmt die Anekdote, dass Sie einmal die Schwelle in Bayreuth geküsst haben?
Ja, ich bin mit meiner damaligen Frau von München nach Berlin gefahren, über Hof. Da mussten wir einen Umweg über Bayreuth machen. Es war nachts und ich habe mit einer gewissen Selbstironie die Schwelle vom Festspielhaus geküsst. Ich freue mich, dort arbeiten zu dürfen. Ich war oft zu Gast und mag die Stimmung, dieses liebenswürdig „Sektiererische“. Ich habe mich dort stets zu Hause gefühlt. Dieses riesige Werk wird auf eine fast sympathische, familiäre Ebene gehoben.

Wann hat Ihr Faible für Wagner begonnen?
Mit 17 oder 18 Jahren, das ist dann auch geblieben. Ich habe mich sehr für Schopenhauer interessiert, auch für Wagner war Schopenhauer sehr wichtig. Dann bin ich Schopenhauer abtrünnig geworden und bin bis heute von Nietzsche sehr beeinflusst. Mich hat immer das Gesamtkunstwerk beschäftigt.

Der Schüttboden unterm Dach: Hier wird im Sommer gemalt
Der Schüttboden unterm Dach: Hier wird im Sommer gemalt © Akos Burg

Ist das Engagement in Bayreuth für Sie so etwas wie Heimkommen?
Es ist sehr schön, dass ich das gegen Ende meines Lebens erleben darf.

Rechnen Sie mit Aufregung?
Ich wüsste nicht, warum, man hat sich schon an meine Arbeit gewöhnt. Wenn es sie gibt, ist das ein Beweis meiner fortwährenden Jugend.

Vermissen Sie die Skandale?
Nein, ich habe nie provozieren wollen, war aber andererseits intelligent genug zu wissen, was gewisse Aktionen auslösen konnten. Mir war die Intensität immer wichtig.

Ihre Malaktionen sind physisch sehr anspruchsvoll und fordernd. Strengt Sie diese Arbeit körperlich an?
Eigentlich nicht. Außerdem dirigiere ich vieles, sage, das machen wir so und so. Ich male auch jetzt noch sehr gerne. Es ist wie eine Aktivierung, die notwendig ist, die mir viel Freude macht und mich reaktiviert.

Erkennen Sie eigentlich ein bisschen Altersmilde bei sich?
Nein, das würde man als langsame Verblödung erkennen. So mild war ich anfänglich schon.

Verfolgen Sie eigentlich die aktuelle Innenpolitik?
Politik interessiert mich überhaupt nicht. Das sind allesamt Karrieristen. Damit möchte ich nichts zu tun haben.

Hätte der junge Nitsch gegen diese Politik revoltiert?
Nein, das hat mich nie interessiert. Es ist alles so dermaßen lächerlich. Ich hätte gerne, dass die Politiker irgendwann eine Erleuchtung bekommen. Die ganze Politik ist in einer permanenten Pattsituation. Die ganzen pseudosozialen Regeln sind unbrauchbar. Das ist nur ein absurdes Spiel ohne Ende. Auch als junger Mensch hat mich das nie interessiert. Mit sechs Jahren musste ich in der Schule noch mit dem Hitlergruß grüßen. Damals habe ich gelernt, die Politik zu verachten, und so ist es geblieben.

Es gab keine politische Lichtfigur in Ihrem Leben?
Wagner, Nietzsche, Buddha und auch, obwohl manche das Gegenteil sagen, C. G. Jung waren Lichtfiguren für mich. Und Sigmund Freud. Mein Herz ist immer nahe der Anarchie. Ich verabscheue Staaten, diese müssen durch ein Militär geschützt werden oder sie expandieren durch ein Militär. Diese Gesellschaftsstrukturen haben mich nie interessiert. Es gibt eine Unzahl von großartiger Literatur, Musik und Malerei. Das ist meine Welt.

"Ich male auch jetzt noch sehr gerne", sagt Nitsch vor jüngst entstanden Werken im zweiten Atelier
"Ich male auch jetzt noch sehr gerne", sagt Nitsch vor jüngst entstanden Werken im zweiten Atelier © Akos Burg

Gab es noch andere Leidenschaften?
Die Philosophie. Jetzt bin ich schon zu alt, ich bin für die Menschheit und mich selbst eine Gefahr. Ich bin früher unheimlich gerne mit dem Motorroller in der Landschaft spazieren gefahren, wenn es meine Zeit erlaubt hat. Jetzt würde ich herumfahren durch die Kellergassen und vielleicht in den einen oder anderen Keller einkehren. Ich bin immer gerne spazieren gegangen und liebe die Natur, ohne mir die Schlagwörter „grün“ und „bio“ anhören zu müssen. Das ist mir alles zu widerwärtig.

Hat Sie diese Landschaft rundherum angezogen?
Irgendwie schon. Bayreuth war mir immer ein Vorbild. Und auch, dass Wagner sich sein eigenes Theater geschaffen hat. Wir hatten hier Verwandte mütterlicherseits. Ich kann mich an einen Weg über die Felder erinnern, da habe ich bei einer Tante der Familie übernachtet. Da bin ich den Weg hier hinübergegangen, alles hat geblüht. Es war Pfingsten. Alles war Grün, die Lerchen haben gesungen, die es gar nicht mehr gibt. Da hatte ich ein ganz starkes Naturerlebnis und das wiederholt sich bis heute.

Eigene Schlosskapelle - mit viel Kunst
Eigene Schlosskapelle - mit viel Kunst © Akos Burg