Betritt man die Galerie im Kunsthaus Muerz, steht man auch schon auf einem Kunstwerk und tut, was sich nicht vermeiden lässt: In der Tat tritt man das „Recht“ mit Füßen, allerdings ohne damit einen rechtlichen Verstoß begangen zu haben. Peter Weibels Konzeptwerk aus dem Jahr 1968, „Das Recht mit Füßen treten“, besteht aus dem mehrfach auf den Fußboden aufgebrachten Wort „Recht“.

Peter Weibels "Das Recht mit Füßen treten" und andere Werke der Ausstellung zur Konkreten Poesie
Peter Weibels "Das Recht mit Füßen treten" und andere Werke der Ausstellung zur Konkreten Poesie © Wenzel Mracek

Kuratorin Sabine Kienzer hat die thematisch ausgerichtete Schau um „Konkrete Poesie“ mit Werken bestückt, die eine Frühzeit des Umgangs mit Sprache in der bildenden Kunst bis in die Gegenwart veranschaulicht. Der in den 1930ern von Theo van Doesburg geprägte Begriff meinte ursprünglich – ganz abgesehen von Bildinhalten – allein die Elemente Punkt, Linie, Fläche und Farbe beziehungsweise die Materialität eines Bildes. In Analogie zur Konkreten Kunst übertrug der Schriftsteller Eugen Gomringer in den 1950er Jahren die Bezeichnung auf das weite Feld der Lyrik, indem nun das Bild der Schrift maßgeblich für den Charakter des Sprach-Kunstwerks wurde.

Dem folgen etwa Arbeiten von VALIE EXPORT, die aus einer mit Bleistift geschwärzten Fläche die Wörter „zeichnen“ und „schreiben“ heraus-“radiert“, also löscht, um sichtbar zu machen. Eine Art Tautologie stellen die plastischen Lettern D und a von Heinrich Dunst dar – allein mit der Anbringung im Raum ist das Wort eben „Da“. Vielleicht die Mühen des Schreibens materialisert Anna Vasovs Objekt „Type Boxing“. Die Typenhebel einer mechanischen Schreibmaschine schlagen auf einen kleinen Boxsack ein. Ironisch und mehrdeutig dagegen nimmt nimmt Timm Ulrichs das Genre beim Wort: Ein Betonguss in Form eines Buches trägt den Titel „Concrete Poetry“ (1972).

Timm Ulrichs, „Der erste sitzende Stuhl“, (1970)
Timm Ulrichs, „Der erste sitzende Stuhl“, (1970) © Wenzel Mracek

Legendärer "Totalkünstler" Ulrichs

Eine zweite Ausstellung ist dem Werk des nun 80jährigen deutschen „Totalkünstlers“ (Selbstbeschreibung) Tim Ulrichs gewidmet. Wenngleich Ulrichs in Fachkreisen meist ein Konzeptkünstler genannt wird, zeugt diese Personale unter dem Titel „so einfach so“ von der Vielschichtigkeit einer schon legendär zu nennenden Künstlerpersönlichkeit.

Vor allem ist es die sprachliche Ironie und Mehrschichtigkeit, die in Ulrichs Arbeiten immer wieder in diversen Konstellationen zum Ausdruck oder eben zur Anschauung gebracht wird. So muss man aufgrund ihrer Unscheinbarkeit zunächst darauf aufmerksam gemacht werden, dass die erste Stufe der Treppe zum Ausstellungsraum eine Waage ist. Beim Betreten leuchtet am oberen Ende der Treppe das Gewicht der Besucherin, des Besuchers auf. Man darf sich nun als „gewogen“ begreifen respektive stellt Ulrichs damit fest, das Publikum sei ihm ohnehin gewogen. Als plastische Umsetzung eines Sprachspiels etwa könnte „Kopfsteinpflaster“ (1978) beschreiben werden, wenn etliche Porträtbüsten Ulrichs den Fußboden pflastern. Ein an zwei Beinen eingeknickter Stuhl wird zum „ersten sitzenden Stuhl“, ein sich ausruhendes Möbelstück. Seine Werke, sagte Timm Ulrichs mehrmals, beginne er stets „ganz an der Basis“ und, nur anscheinend salopp, fange „die Philosophie auch am Küchentisch an“. Philosophie und ihre Dienlichkeit sind so an einem Küchentisch zu ersehen. In dieser Arbeit aus dem Jahr 1977 könnte man in Kants „Kritik der reinen Vernunft“ (auf der Tischplatte) lesen, während eine Ausgabe der „Kritik der praktischen Vernunft“ unter das zu kurze Tischbein geklemmt ist.

Timm Ulrichs. „so einfach so.“ Gruppenausstellung „Konkrete Poesie und so“. Bis 15. Mai, Kunsthaus Muerz, Wiener Straße 56, Mürzzuschlag. kunsthausmuerz.at