Er war gerade 23, als Wien die Befreiung von den Türken feierte und das ganze Land ein wahres Baufieber erfasste. Wenige Jahre später bezeichnete ihn der Propst von Stift Dürnstein „als führnemen Baumaister zu St. Pöltten, und vülleicht führnemsten in gantz Oesterreich“ – ein bemerkenswertes Lob, wenn man bedenkt, dass zur selben Zeit auch Kapazunder wie Johann Bernhard Fischer von Erlach oder Johann Lucas von Hildebrandt dem Habsburgerreich zu baulichem Glanz verhalfen.
Umso erstaunlicher, dass bisher nur eine schmale, fast 100 Jahre alte Monografie dem Genie von Jakob Prandtauer gerecht zu werden versuchte.
Die Wiener Kunsthistorikerin Huberta Weigl hat nun – „nach verrückten 24 Jahren Forschungsarbeit“ – ein zweibändiges Opus magnum vorgelegt, das den Schöpfer von Stift Melk und anderer barocker Wunderwerke erstmals umfassend würdigt. Die Autorin interessierte dabei nicht nur die vielfältige Baukunst des Tirolers, sondern auch dessen von zahlreichen Reisen und Schicksalsschlägen geprägtes Leben. Ihren Recherchen zufolge begann dieses höchst ungewöhnlich in Stanz bei Landeck, wo Prandtauer im Juli 1660 drei Monate nach seinem zu früh geborenen Zwillingsbruder das Licht der Welt erblickte. Der Tod, so scheint es, war von da an sein ständiger Begleiter. Denn als einziger Sohn seiner Eltern überlebte er auch seine sieben Schwestern, eines seiner vier Kinder und seine Frau Maria Elisabeth.
Letztere lernte er in St. Pölten kennen, wo Prandtauer 1692 nach seiner Maurerlehre auftauchte und ein Haus erwarb. Hier begann sein Aufstieg zum gefragten Architekten, dessen Klosterbauten – insbesondere Melk, Herzogenburg und St. Florian – weithin berühmt wurden. Auch das ehemalige Stift Garsten, heute bekannt als Justizanstalt, zählt zu seinen Meisterwerken.
Haupt- und Lebenswerk Stift Melk
Prandtauer war aber nicht nur Spezialist für Sakralbauten, sondern schuf auch zahlreiche profane Bauwerke, darunter Schlösser, Kasernen, Brücken, Bürgerhäuser oder Kelleranlagen zur Lagerung von Wein. Auch Schüttkästen, mehrgeschoßige Bauten zur Aufbewahrung von Getreide, gehörten zu seinem Repertoire.
Das Benediktinerstift Melk, seit 2000 Unesco-Weltkulturerbe, gilt unbestritten als sein Haupt- und Lebenswerk. Von 1702 bis zu seinem Tod hat er daran gearbeitet. „Melk hat ihn nahezu sein ganzes Baumeisterleben lang beschäftigt“, schreibt Weigl, die als gelernte Betriebswirtin auch Prandtauers wirtschaftliche Verhältnisse unter die Lupe nahm. Demnach verdiente der Stiftsbaumeister 300 Gulden im Jahr – etwa die Hälfte von dem, was Johann Lucas von Hildebrandt in Göttweig bekam. Für sein Modell des Melker Kirchenportals erhielt er zusätzlich 24,5 Kilo Kakao und 75 Stangen Vanille im Gesamtwert von 75 Gulden, was etwa dem Jahresgehalt eines Handwerkers entsprach. Prandtauer dürfte dabei recht sparsam gewesen sein, denn zu einem nicht näher bekannten Zeitpunkt lieh er dem Stift 5500 Gulden, wofür ihm fünf Prozent Zinsen gezahlt wurden.
Anders, als von Udo Jürgens besungen, endete das Leben des „führnemen Baumaisters“ mit 66 Jahren. Kurz davor hatte Prandtauer noch an der Begradigung der Straße zwischen Wien und Linz mitgewirkt und die Baustelle des neuen Pfarrhofs in Aggsbach in der Wachau besucht. Im Augustiner-Chorherrenstift von St. Pölten fand er seine letzte Ruhestätte.
Huberta Weigl gelang nicht nur das Kunststück, das Leben und Schaffen des großen Architekten lebendig werden zu lassen, sondern auch noch 50.000 Euro an Sponsorgeldern aufzutreiben, um die Drucklegung ihres 928-seitigen Werkes zu ermöglichen. Wem ihr 6-Kilo-Wälzer dennoch zu teuer oder schwergewichtig ist, kann sich auch gratis über Jakob Prandtauer informieren: dank Website, Newsletter und einem YouTube-Kanal der Autorin.