Pandemieleugner, die nichts dabei finden, gemeinsam mit Rechtsextremen und Neonazis zu marschieren, Reichsflaggen und „Sieg Heil!“-Geschrei bei Corona-Demos in Wien: Um angesichts einer derartigen Verwahrlosung österreichischer Protestkultur nicht zu verzweifeln, empfiehlt sich ein Blick in die aktuelle Online-Ausstellung „Wir protestieren!“ im Wiener Volkskundemuseum.

Die Schau, die sich dezidiert an ein junges Publikum richtet, ist in Kooperation mit einem Studienprojekt am Institut für Europäische Ethnologie an der Wiener Universität entstanden und erforscht jenseits des aktuellen Eskalationsgeschehens die Themen, die in den letzten Jahrzehnten die die Gesellschaft bewegten: Wer protestiert warum? Wir wird darauf reagiert? Und wer wird überhaupt gehört?

Bemerkenswert: Entstanden ist das Projekt unter dem Eindruck der innenpolitischen Turbulenzen in Österreich seit 2017 und der Proteste gegen die damalige türkis-blaue Regierung. Auch die wachsenden internationalen Protestbewegungen wie Fridays for Future oder Black Lives Matter waren für die acht Ethnologie-Studentinnen Ansatzpunkt der Recherche. Das Material für die Schau fanden sie in Interviews mit aktiven und ehemaligen Protestierenden sowie in Archiven und auf Dachböden. Ergebnis: ein grundlegender und solider Überblick über Österreichs Protestkulturen. Von der Gleichberechtigung bis zur Kritik an der Ausbeutung von Textilarbeiterinnen ist das Themenspektrum weit gefasst. In sechs Bereichen widmet man sich der Regenbogenparade als großangelegte jährliche Protest-Party für Sichtbarkeit und Gleichstellung von LGBTIQ*Personen ebenso wie der Konsumkritik jener, die sich als Dumpsterer und in Nahrungsmittelkooperationen der Überfluss- und Wegwerfgesellschaft entgegenstellen und damit - in den Worten der Ausstellungsgestalterinnen - „stillen Protest“ im Alltag üben.

Die Timeline der Schau suggeriert, dass nicht wie anderswo das Jahr 1968, sondern das Jahr 1978 den Urknall österreichischer Protestbewegungen markiert: Da fand die Volksabstimmung über das Atomkraftwerk Zwentendorf statt. Die ging mit 50,47 Prozent Ablehnung zwar denkbar knapp aus– bewirkte aber das Atomsperrgesetz sowie das Bundesverfassungsgesetz für ein atomfreies Österreich und prägt trotz längst internationalisierter (und damit auch aus Atomkraftwerken gespeister) Stromnetzwerke das Land und seine Energieversorgung bis heute.

Nicht weniger bedeutsam für Österreichs politische Entwicklung: die Besetzung der Hainburger Au 1984, diesmal gegen den Bau eines Wasserkraftwerks gerichtet. Plakate, Fotos und sogar ein paar Videos der winterharten Demonstranten von damals vergegenwärtigen die Aufbruchsstimmung von damals, illustrieren aber auch, mit welchen vergleichsweise opulenten Kommunikationsinstrumenten sich die Protestbewegungen unserer Zeit von Black Lives Matter bis Fridays für Future organisieren - und welche Rolle die internationale Vernetzung des Demonstrationsgeschehens mittlerweile spielt.

Dass eine solche Schau, zumal fürs junge Publikum, nicht analog stattfinden kann, hat zumindest Vorteile für den Schulbetrieb: So sind nun alle Materialien online für den Unterricht zugänglich. In einer zugehörigen sechsteiligen Podcast-Reihe geht es unter anderem um widerständische Aktionen im Alltag und die Bedeutung des Proteste für die Jugendlichen der Gegenwart.

KLeine Schau zu großen Themen: "WIR PROTESTIEREN!" im Wiener Volkskundemuseum
KLeine Schau zu großen Themen: "WIR PROTESTIEREN!" im Wiener Volkskundemuseum © VKM/Isi Steinkellner