Kunst definiert sich bei ihm als dialogisch, als Zusammenstoß von gegensätzlichen Absichten. Behauptung und Absage, hell und dunkel, Leben und Tod“, erläuterte der Kunsthistoriker Peter Iden unlängst bei einer Vernissage in der Wiener Galerie Ulysses. „Arnulf Rainer hat sich diese Gegensätzlichkeit bewahrt.“ Der so gewürdigte Künstler saß still vergnügt daneben und ließ sich den Promi-Auflauf anlässlich der dritten großen Geburtstagsausstellung (neben der Schau in der Albertina und der Jubiläumsausstellung „Revue“ im Rainer-Museum in Baden) geduldig gefallen.

Gegensätzliches prägt das Werk dieser Ikone der österreichischen Nachkriegskunst. Nach seinem frühen Interesse für Surrealismus und Informel – resultierend aus einer Reise mit Maria Lassnig nach Paris –wandte er sich mit Beginn der 1950er Jahre den großflächigen, schwarzen Übermalungen zu. Mit Kugelschreibern, Farbe und Kohlestiften übermalt er zuerst Radierungen und Kreuze, danach Fotos und Selbstporträts. Das Etikett des Übermalers wird ihm sein Leben lang begleiten. Wie anders sind hingegen die kleinformatigen, farbstark-poetischen Arbeiten seines Schaffens aus 2015/16, die in der Wiener Galerie unter dem Titel „Farbenrausch“ derzeit zu sehen sind. Oder die zarten Schleierbilder mit ihren ästhetischen Licht- und Farbräumen, die in der Albertina gezeigt werden! Die dort ausgestellten rund 40 Bilder umfassen nur einen Teil des 250 Rainer-Werke starken Bestandes des Hauses (inklusive Essl-Sammlung). Rainers Selbstinszenierungen („Face farces“, „Body poses“) sind dabei ebenso zu sehen wie einige seiner Kreuzbilder, bei denen den Künstler vor allem die Form, nicht aber eine religiöse Interpretation interessierte.

Mit 90 Werken aus acht Jahrzehnten (die zur Gänze aus Leihgaben des Künstlers stammen) spannt auch das Arnulf-Rainer-Museum in Baden, der Geburtsstadt des Malers, einen weiten Bogen über das Leben des Ausnahmekünstlers, der stets lustvoll polarisierte.

Mit dem Fahrrad nach Kärnten

Vor der russischen Besatzung floh Arnulf Rainer 1945 mit dem Fahrrad nach Kärnten, wo er später an der Staatsgewerbeschule in Villach maturierte. In Klagenfurt lernte er die zehn Jahre ältere Maria Lassnig kennen, mit der ihn dann eine fünfjährige Liebesbeziehung verband - eine Beziehung, die heuer mit einer sehenswerten Ausstellung im Linzer Lentos und im Klagenfurter Museum Moderner Kunst Kärnten aufbereitet worden ist. Auch wenn sich die beiden phasenweise stilistisch nahe waren, bald trennten sich privat und künstlerisch ihre Wege. 1953 begegnete er Monsignore Otto Mauer, dessen Galerie nächst St. Stephan Rainer seine erste Einzelausstellung ermöglichte.

In wenigen Tagen wird er, einer der einflussreichsten Künstler der österreichischen Avantgarde, 90 Jahre alt. Dass Maria Lassnigs einstiges Atelier in Klagenfurt, wo er die frühe Gefährtin kennengelernt hatte, von privater Hand nach Jahren des Verfalls revitalisiert und der Öffentlichkeit zeitweise zugänglich gemacht wurde, weiß Rainer beim Small-Talk am Rande der Vernissage nicht: „Wirklich? Ich war ja schon so lange nicht mehr da“, meint er versonnen. Dabei hätte er heuer sein 70-jähriges Maturatreffen in Villach begehen können! „Ja, ja“, schmunzelt er nur - und greift schon wieder zum Stift, um den Autogrammwunsch eines Fans zu erfüllen.