Als Maria Lassnig vor fünf Jahren in einem Ehrengrab am Wiener Zentralfriedhof beigesetzt wurde, befand sich Arnulf Rainer an vorderster Front der Trauergäste. Eine gemeinsame Ausstellung in Baden bei Wien hatte die Kärntnerin zuvor abgelehnt. „Sie, die sich als Künstlerin stets gegenüber der Männerwelt zurückgesetzt fühlte, hat es wohl als Zumutung empfunden, im Rainer-Museum auszustellen“, vermutet MMKK-Chefin Christine Wetzlinger-Grundnig, die nun das Vergnügen hat, die beiden Schwierigen doch noch in einer Ausstellung zu vereinen – nicht ganz überraschend gegen den Willen des 89-jährigen „Übermalers“, der bereits die Vorgängerschau im Linzer Lentos boykottiert hatte.
Rivalität und Neugierde, Unangepasstheit und Leidenschaftlichkeit waren bis zuletzt die Triebfedern einer höchst fruchtbaren Künstlerpartnerschaft, die 1948 in Klagenfurt begann und erst versandete, als Maria Lassnig Richtung Paris und New York das Weite suchte, um 1980 als erste Professorin der „Angewandten“ nach Österreich heimzukehren.

Lassnigs Liebhaber

Bereits im ersten der elf Ausstellungsräume begegnet man der unkonventionellen Liebe zwischen dem 18-jährigen Schüler der Villacher Staatsgewerbeschule und der 28-jährigen Absolventin der Wiener Kunstakademie in Gestalt von Ölporträts und Aktansichten des jungen Rainer. Doch der gebürtige Niederösterreicher war nur einer von mehreren Liebhabern der selbstbewussten Krappfelderin, die sich gerne als Mauerblümchen gab. Gleich daneben hängen Porträts ihres Verlobten Luis Popelin, eines französischen Fremdarbeiters, des deutschen Malers Arnold Wande oder des Dichters Michael Guttenbrunner. Ihn hatte Lassnig 1946 in seiner ganzen männlichen Pracht verewigt und damit den ersten Kunstskandal im Nachkriegs-Kärnten ausgelöst. Der expressive, an Kolig und Boeckl geschulte Männerakt verrät so manches über die ästhetische Sprengkraft der Künstlerin, der bald nach ihrem Tod in diversen Medien vorgeworfen wurde, sie hätte sich zu Unrecht als Opfer des NS-Regimes in Szene gesetzt. Wahr ist vielmehr, dass Lassnig öffentlich in Abrede stellte (u. a. in einem Interview mit der Kleinen Zeitung), jemals politisch verfolgt gewesen zu sein. Doch die pornografische Erregung, die ihr nackter Liebhaber bei einer Klagenfurter Ausstellung des Jahres 1947 auslöste, lässt erahnen, wie der Studentin aus der Provinz zumute war, als sie wegen ihres „entarteten“ Malstils aus der Meisterklasse von Wilhelm Dachauer geworfen wurde.
Im MMKK werden diese Anfänge ebenso ausführlich dargestellt wie der lange Weg zu jenen unverkennbaren Stilen, mit denen Lassnig und Rainer schließlich berühmt wurden: die eine mit ihren sinnlich-feministischen Körperbewusstseinsbildern, der andere mit seiner asketischen Anti-Malerei.

Das 20. Jahrhundert im Zeitraffer

Aufbauend auf der Linzer Auswahl von Brigitte Reutner hat Wetzlinger-Grundnig im MMKK rund 140 Exponate aus der Zeit zwischen 1945 und 1965 versammelt, um das Frühwerk des Künstlerpaares greifbar zu machen. Fast hat es den Anschein, als hätten Lassnig und Rainer die Kunstgeschichte des 20. Jahrhunderts im Zeitraffer durchlaufen: beginnend mit surrealistischen Kompositionen als Teil der Wiener „Hundsgruppe“ über kubistische, konstruktivistische oder tachistische Versuche, denen mehrere Paris-Reisen und die Begegnung mit der internationalen Avantgarde vorausgegangen waren. Vor allem die phantastisch-surrealen Werke, die zum Teil an Hieronymus Bosch erinnern, zeugen vom außerordentlichen Talent und Fleiß der beiden Einzelgänger, deren Handschriften sich immer wieder kreuzen und so manche Überraschung bieten: etwa im Falle von schwarzen Zumalungen aus den frühen 1950ern, die nicht – wie erwartet – von Rainer stammen, sondern von seiner älteren Freundin.

Ergänzt wird die Hommage zum bevorstehenden hundertsten bzw. neunzigsten Geburtstag der beiden Kunstgrößen durch einen ausführlichen Katalog, fotografische Originalabzüge von Peter Baum und dokumentarische Filmaufnahmen. Bei der Ausstellungseröffnung war Baum ebenso anwesend wie Peter Pakesch, der als Vorsitzender der Lassnig-Stiftung die meisten Leihgaben zur Verfügung stellte. Für ihn hat Lassnig „weit in unsere Zeit hineingegriffen“, während Rainer ein „Künstler des 20. Jahrhunderts“ blieb. „Beide hätten auch alleine ihren Weg gemacht“, ist Pakesch überzeugt. Doch die Ausstellung zeige, „wie inspirierend sie füreinander waren“ – und unverzichtbar für die Wiederbelebung der „ästhetischen Wüste“ nach 1945.