Die radikale feministische Performancekünstlerin Renate Bertlmann bespielt als bisher erste Einzelkünstlerin den Österreich-Pavillon bei der Venediger Kunstbiennale, deren 58. Ausgabe am Samstag offiziell eröffnet wird. Der Austria Presse Agentur erklärte die 76-jährige Wienerin im Interview, weshalb es für sie wichtig war, den Bau in den Giardini zur erobern und welche Rolle dabei Schatten spielten.

Ihr Biennale-Beitrag mutet retrospektiv an: Sie verweisen im Innenraum des Österreich-Pavillons auf Arbeiten aus den Siebziger- und Achtzigerjahren. War es von Anfang klar, dass Sie in Venedig auch auf Ihr bisheriges Werk verweisen würden?

Renate Bertlmann: Ich habe a priori nicht die Absicht gehabt, irgendetwas Retrospektives zu machen. Nachdem ich den Pavillon zwei Tage umkreist hatte, war mir klar, was ich mache. Sie wissen, ich bin die erste Künstlerin in Österreich, die diesen Pavillon alleine gestalten kann. Das ist eine besondere Sache. Daher habe ich das Gefühl gehabt, dass ich den Pavillon für mich erobern muss. Aber wie kann ich das ausdrücken? Ich signiere ihn. Und hier ist die Sonne zu Hilfe gekommen: Als ich vor dem Pavillon gestanden bin, war plötzlich die Silhouette von mir da. Wenn also ich eine Signatur etwas entfernt vor die Wand stelle, ergibt sich ein wunderschöner Schatten, der durch die Bewegung der Sonne das Ganze so lebendig macht. Das hat mir sehr gefallen.

Blick in den Österreich-Pavillon
Blick in den Österreich-Pavillon © APA/SOPHIE THUN

Der von Ihnen gewählte Fassadenspruch "Amo ergo sum" ("Ich liebe, also bin ich") kommt gleichzeitig auch in einer Projektskizze in Ihrem Beitrag vor.

Bertlmann: "Amo ergo sum" hat sich für mich Mitte der Achtziger als Arbeitsmotto und Lebensprinzip plötzlich ergeben, das ist zeitlos. Ich wollte meinen Beitrag nicht einfach mit meinem Namen signieren, denn ich komme und gehe. Renate Bertlmann wird einmal nicht mehr existieren, aber die Liebe wird immer existieren. Ich meine hier nicht die emotionale Liebe, sondern ein gesamtheitliches Erleben der Welt, wo Körper, Geist und Seele eine untrennbare Einheit sind. Abgesehen davon hatte ich die spontane Idee eines Messerrosengartens mit dem Titel "Discordo" ("Ich widerspreche"). Also ich rebelliere, bin widerständig, kämpfe gegen alles, was mich schmerzt und was ich nicht haben will.

Aber auch das ist ja ein zentrales Thema in Ihrem bisherigen Werk.

Bertlmann: Ja, in diesem Messerrosengarten werden Ambivalenzen artikuliert, die sich natürlich durch meine ganze Arbeit ziehen. Ich habe Schnuller, Brüste und Phalli mit Messern versetzt, aber das kommt hier in einer neuen Form. Diese Kombination von Rose und Messer habe ich noch nicht gehabt. In einer ästhetischer Hinsicht soll sie Ambivalenzen ausdrücken wie Schönheit und Schmerz, Anziehung und Abstoßung oder Zorn und Zärtlichkeit.

Wie kam die Auswahl jener Arbeiten zustande, die als dritter Teil Ihres Beitrags im Innenraum des Pavillons gezeigt werden?

Bertlmann: Das ist ein assoziatives, kartografisches Deuten auf ganz wenige Stationen, die für mich im Zusammenhang mit Performances, Zeichnungen und Objektiv wichtig sind. Das soll nur ein kleiner Hinweis auf meine übrigen Arbeiten sein.

Diese Auswahl macht aber auch deutlich, dass Ihre Performances seinerzeit in unterschiedlichen Ländern stattfanden. Vielleicht am auffälligsten ist Ihre Zusammenarbeit mit dem russischen Künstlerpaar Rimma und Waleri Gerlowin, die wohl im Rahmen eines Aufenthalts mit Ihrem Gatten (Physiker Reinhard Bertlmann, Anm.) im russischen Physikerstädtchen Dubna begonnen hat. Wie sind Sie aber Ende der Siebzigerjahre mit dem sowjetischen Underground in Kontakt gekommen?

Bertlmann: Das war hochinteressant. Wir Ausländer haben in Dubna nur in einem bestimmten Restaurant essen dürfen. Einmal haben wir dort ein sehr nettes Paar getroffen, und es stellte sich heraus, dass unsere Gesprächspartnerin die Gattin eines sowjetischen Botschafters in Deutschland war. Ich erklärte ihr, dass ich gerne mit dem künstlerischen Underground in Kontakt kommen würde. Und sie sagte, dass es so etwas natürlich gäbe, und sie lud zu sich ein. Wir machten also einen illegalen Ausritt nach Moskau, bei ihr zu Hause sah ich Antiquitäten in Überfülle. Sie hat uns auch Adressen von Künstlern gegeben, und so haben wir auch die Gerlowins kennengelernt.

Der Österreich-Pavillon
Der Österreich-Pavillon © APA/SOPHIE THUN

Eine breitere Rezeption Ihrer Kunst hat vergleichsweise spät eingesetzt. Welche Rolle spielt nun Venedig?

Bertlmann: Meine Arbeit jetzt einem internationalen Publikum präsentieren zu können, ist eine ungemeine Chance und wird meine sogenannte Präsenz natürlich sehr verstärken.

Ende Mai eröffnen Sie eine Einzelausstellung in der Landesgalerie Niederösterreich in Krems. Wird es dort Überschneidungen mit Ihrem Beitrag in Venedig geben?

Bertlmann: Ich darf noch nicht viel dazu sagen. Aber ich decke dort einen anderen Bereich ab, obwohl alles natürlich sehr zusammenhängt. Es wird in Krems Aspekte zur Pornografie, aber hauptsächlich zur Utopie geben. Formal wird das eine Ausstellung mit Installationen sein, während ich hier auch im Innenraum des Pavillons eigentlich keine Ausstellung machen wollte, sondern lediglich assoziativ-kartografisch vorgehen wollte.