Sicher, wir alle sind verwundbar. Dass aber das Thema Verwundung sich so vielfältig in die abendländische Kunstgeschichte eingeschrieben hat, verwundert dann doch. Die Ausstellung "Zeig mir deine Wunde", die Mittwochabend im Dom Museum Wien eröffnet wird, geht unter die Haut. Sie konfrontiert dabei höchst gelungen die christliche Ikonographie mit moderner Kunst.

Seit einem Jahr ist das in der ehemaligen Wohnung des Dompropstes gelegene und von Boris Podrecca neu gestaltete Museum wieder geöffnet. Die Erfahrungen mit den modernen Räumen seien durchwegs positiv, erzählt Direktorin Johanna Schwanberg. Mit über 30.000 Besuchern habe man im vergangenen Jahr rund doppelt so viele Interessenten begrüßt wie früher, auch Touristen kämen verstärkt in das am Stephansplatz gelegene Gebäude, dessen domseitig gelegene Räume nun mit der zweiten Themenausstellung bespielt werden.

"Ich habe dieses Thema gleich vor mir gesehen, als ich hier angetreten bin", versichert Schwanberg. Einerseits müsse sich jeder Mensch früher oder später mit seiner eigenen Verwundbarkeit beschäftigen, andererseits sei das Thema in der religiösen Kunst nahezu allgegenwärtig. Tatsächlich stößt man in der von Schwanberg und Klaus Speidel kuratierten Schau, die in der Gestaltung von Christian Sturminger leichthändig mit epochenübergreifenden Gegenüberstellungen und Durchblicken arbeitet, auf jede Menge Dornenkronen, Kreuzigungen und Märtyrer. "Wenn mir jemand sagt, die Gegenwartskunst sei so heftig, dann entgegne ich: Schau' Dir die mittelalterliche Kunst an", sagt Schwanberg. Schmerz und Leiden sind in der Ausstellung allgegenwärtig. Aber auch: Opferbereitschaft und Verzückung. "Im Christlichen ist die Wunde positiv besetzt."

Direktorin Johanna Schwanberg
Direktorin Johanna Schwanberg © APA/HERBERT PFARRHOFER

Natürlich ziehen sich die Leidensgeschichte Jesu und das Blut Christi durch die Schau. Erstaunlich oft erzählen die Objekte aber von mehrfachen Verwundungen. Ihnen haben der Zahn der Zeit, der saure Regen, Feuer oder der Holzwurm zugesetzt. Letzteres etwa bei einem aus Köln geliehenen Kruzifix mit besonders brutal wirkenden Verletzungen des Gekreuzigten. Oder man ist mit Fäusten, Hämmern oder Messern auf sie losgegangen: Jene spätklassizistische Kreuzigungsdarstellung, die am 8. Oktober 1938 beim Sturm des Erzbischöflichen Palais von SA- und HJ-Angehörigen beschädigt wurde, ist - unrestauriert - zum ersten Mal seither wieder ausgestellt. Die Aufforderung "Zeig mir deine Wunde" (eine Referenz an den Titel einer Installation von Joseph Beuys) dient hier eindrucksvoll als politische Mahnung.

Völlig organisch ist das Zusammenspiel mit der Gegenwart, wobei man immer wieder, aber nicht nur, auf die Sammlung Otto Mauer zurückgreift. Renate Bertlmann und Kader Attia sind hier vertreten, natürlich Günter Brus, Hermann Nitsch oder eine geschlitzte Leinwand von Lucio Fontana. Neben einem geschnitzten Heiligen Sebastian aus Stift Heiligenkreuz hängt die Zeichnung einer "Ste. Sébastienne" von Louise Bourgeois.

"Zeig mir deine Wunde" im Dom Museum
"Zeig mir deine Wunde" im Dom Museum © APA/HERBERT PFARRHOFER (HERBERT PFARRHOFER)

VALIE EXPORT schabt in einem Video an ihrer Nagelhaut, in einem Video von Erkan Özgen erzählt ein geflüchteter syrischer Bub von seinen Kriegserfahrungen. Raphael Dallaporta hat Personenminen als wunderschön ausgeleuchtete Schmuckobjekte fotografiert. Die von ihnen verursachten Wunden bekommt man glücklicherweise nicht sehen. So vielfältig sind körperliches und seelisches, soziales und ökonomisches Leid, dass es ein Wunder ist, dass man die Schau nicht ganz deprimiert verlässt. Eine Auseinandersetzung mit denen, die Heil und Heilung versprechen, kommt dann vielleicht das nächste Mal. Das dürfte allerdings nicht weniger wehtun.