Mehr als 1.500 Kunstwerke, in der Wohnung des Münchner Eigenbrötlers Cornelius Gurlitt beschlagnahmt, standen 2013 im Verdacht, NS-Raubkunst zu sein. Der spektakuläre Schwabinger Kunstfund hat Deutschland nochmals an seine Verantwortung aus der Nazi-Zeit erinnert.

Fünf Jahre später gibt eine Ausstellung in Berlin erstmals einen kompletten Einblick in die jahrzehntelang geheim gehaltene Sammlung. Nach zwei Einzelschauen in Bern und Bonn bietet der Berliner Martin-Gropius-Bau ab Freitag sowohl einen Blick auf die Nazi-Aktion "Entartete Kunst" als auch auf die perfide Geschichte des NS-Kunstraubs. Erneut sind in "Bestandsaufnahme Gurlittt" wichtige Werke von Dürer bis Monet, von Cranach bis Kirchner, von Cézanne bis Rodin zu sehen. Sie machen die Bandbreite der Sammlung deutlich, die Gurlitts Vater Hildebrand als einer der wichtigsten Kunsthändler der Nazis zusammentragen konnte. Noch wichtiger aber ist der Blick hinter die Kulissen.

Mehr als bisher rücken die Schicksale der meist jüdischen Opfer in den Focus, wie Rein Wolfs, Intendant der Bundeskunsthalle und Kurator der Ausstellung, am Donnerstag vor der Eröffnung sagte. Sein Haus hat die Schau gemeinsam mit dem Kunstmuseum Bern, dem offiziellen Erben der Sammlung, zusammengestellt.

2013 hatten erste Berichte von einem "Jahrhundertfund" und einem "milliardenschweren Nazischatz" gesprochen. Doch die akribischen Recherchen seither zeigen andere Dimensionen. Nur sechs der gut 1.500 Werke konnten bisher klar als NS-Raubkunst identifiziert werden. Prominentes Beispiel in der Ausstellung: "Porträt der jungen Frau" (1850-1855) von Thomas Couture, das der Sammlung des französischen Staatsmannes Georges Mandel zugeordnet wurde. Ein kleines Loch in der Leinwand führte auf die Spur. Mandels Lebensgefährtin hatte nach dem Krieg zu Protokoll gegeben, dieses gestohlene Gemälde habe einen kleinen Einriss gehabt.

Hunderte anderer Werke konnten als unbedenklich eingestuft werden. Das meiste Kopfzerbrechen jedoch bereiten die 327 Bilder, die nach Angaben der Berner Museumsdirektorin Nina Zimmer noch raubkunstverdächtig sind. Alle Beteiligten sprachen sich deshalb dafür aus, die Aufklärungsarbeit weiterzuführen.

In der Ausstellung ist jedem einzelnen der insgesamt rund 200 Bilder eine Erklärung beigefügt, was die Erforschung der Herkunftsgeschichte bisher ergeben hat. Zudem gibt es viele Dokumente, historische Fotografien und zeitgeschichtlichen Hintergrund über die europäischen Dimensionen des NS-Kunstraubs. Bei dem berühmten Gemälde "Waterloo Bridge" von Claude Monet etwa ist ein Vermerk von Gurlitts Mutter Marie von 1938 abgedruckt, die dem Sohn bestätigt, er habe dieses Bild 1923 von den Eltern zur Hochzeit geschenkt bekommen. Wozu es dieser Bestätigung bedurfte und warum sie 15 Jahre nach der Hochzeit kam, gehört zu den Rätseln, denen die Forscher noch nachgehen.