"Um ein gutes Foto zu machen, braucht man zwei Augen", umriss Erich Lessing einst prosaisch gegenüber der APA seine Kunst: "Und Augen sind entweder begabt zum Sehen oder nicht." Die Augen des österreichischen Fotografen gehörten in der Nachkriegszeit zu den begabtesten der Welt, mit seinem Fotoapparat hat er Weltgeschichte festgehalten. Am Freitag (13. Juli) wird die Fotolegende nun 95 Jahre alt.

Ob vom Ungarn-Aufstand, beim jüdischen Osteuropa oder der Zeit des Wiederaufbaus im Kommunismus - die Bilder von Erich Lessing gingen um die Welt, seine Porträtaufnahmen großer Politiker wie Eisenhower oder Chruschtschow sowie wichtiger Künstler wie Herbert von Karajan machten ihn weltberühmt.

"Speicherplatz ist teuer"

Mit einer Digitalkamera als Geschenk kann man dem Jubilar dabei vermutlich keine allzu große Freude machen. "Ich gehe immer wieder zu analog zurück", gestand er in einem Interview, das digitale Zeitalter macht ihm eher Sorge. "Der Fotograf mit der Digitalkamera hebt heute nur das auf, was sein Chef oder er selber in diesem Augenblick braucht. Speicherplatz ist teuer, das meiste wird gelöscht. Wir beginnen jetzt eigentlich in einer Zeit der Dokumentationsnot zu leben", ortete Lessing eines der großen Probleme unserer Zeit.

Jubel über den Staatsvertrag: eingefangen von Erich Lessing
Jubel über den Staatsvertrag: eingefangen von Erich Lessing © ORF/Lessing

Das Dokumentieren von Zeitströmungen hat der Doyen seiner Zunft vielleicht deshalb auch selbst begonnen und erst mit 89 Jahren, im Jahr 2012 eine eigene Galerie in der Wiener Innenstadt eröffnet, die einige Jahre lang Aufnahmen aus den 70 Arbeitsjahren des Fotodenkers in thematischen Ausstellungen präsentierte, nun aber vor wenigen Monaten geschlossen wurde.

Geboren wurde Erich Lessing am 13. Juli 1923 als Sohn eines Zahnarztes und einer Konzertpianistin in Wien. 1939 emigrierte er nach Palästina, studierte in Haifa Radiotechnik und arbeitete als Karpfenzüchter in einem Kibbuz. Bereits als Kind interessierte sich Lessing jedoch für die Fotografie, bekam mit 13 Jahren seinen ersten Fotoapparat. Als Erwachsener fand er zu diesem Hobby zurück und verdiente damit sein Geld. Zuerst arbeitete Lessing als Kindergarten- und Strandfotograf, während des Krieges wurde er bei der Britischen Armee als Fotograf verpflichtet. Nach Kriegsende kehrte der nun 24-Jährige nach Wien zurück und lernte seine spätere Frau Traudl kennen.

Ein Foto zum Fotokünstler zum 90. Geburtstag
Ein Foto zum Fotokünstler zum 90. Geburtstag © ORF

Die mittlerweile verstorbene Traudl arbeitete als Journalistin bei der amerikanischen Nachrichtenagentur Associated Press, für die auch Lessing fortan als Fotoreporter wirkte. Nebenbei arbeitete er als freier Fotograf für Zeitschriften wie "Life", "Paris Match" oder "Fortune". 1951 stieß Lessing zur Magnum Agentur, die vier Jahre zuvor von Robert Capa, George Rodger, David Seymour und Henri Cartier-Bresson in Paris gegründet worden war. Das Kollektiv wollte mit seinen Arbeiten die Ereignisse auf der Welt dokumentieren und damit das Bewusstsein der Menschen schärfen. Die Mitarbeiter sahen sich selbst dabei jedoch als Künstler und Reporter.

Zwei der Agenturgründer, Robert Capa und David Seymour, kamen in den 50er-Jahren bei ihrer Arbeit als Fotojournalisten ums Leben. Lessing dokumentierte zu dieser Zeit die politischen Ereignisse im Nachkriegseuropa. Die von Lessing geschossenen Bilder, wie vom Besuch Charles de Gaulles in Algerien oder der Unterzeichnung des österreichischen Staatsvertrags am Balkon des Belvedere, sorgten weltweit für Aufsehen, mit seinen Porträts kam er zu großem Ansehen. Seit den 60er-Jahren inszenierte der Kunstfotograf mit seinen, von ihm als "Erzählfotos" bezeichneten Arbeiten, historische Persönlichkeiten wie Musiker, Poeten oder Physiker. Einen kompletten Satz seiner rund 60.000 Farbfotografien schenkte Lessing 2013 dem Bildarchiv der Nationalbibliothek.

Mit Preisen überhäuft

Zehntausende Aufnahmen entstanden im Verlauf seiner Karriere, viele davon haben in über 60 Büchern und Ausstellungen auf der ganzen Welt ihr Publikum gefunden. Gemeinsam mit Harry Weber und Franz Hubmann bildete er das große Triumvirat der österreichischen Fotografie. Und dieses Oeuvre erfährt bis in die heutigen Tage immer wieder eine Würdigung, wenn etwa mit Lessings detaillierten Farbaufnahmen der Sixtinischen Kapelle 2016 in der Votivkirche das berühmte Gotteshaus nachgebildet wurde, oder Tochter Hannah Lessing, Generalsekretärin des Österreichischen Nationalfonds, im Museum am Judenplatz 2015 eine Schau zum Werk ihres Vaters kuratiert hat.

Darüber hinaus wurde Lessing auch mit formellen Ehren überhäuft. Er erhielt den American Art Director's Award, den französischen "Prix Nadar" oder den Dr.-Karl-Renner-Preis. 1998 wurde Lessing mit dem Großen Österreichischen Staatspreis für Künstlerische Fotografie ausgezeichnet, 2013 mit dem Ehrenkreuz für Wissenschaft und Kunst. Und seit Lessing 1973 den Berufstitel Professor erhielt, unterrichtete er an Orten wie der Biennale Venedig, Arles oder der Salzburger Sommerakademie.