Gerade wenn man denkt, man kennt jemanden, macht wieder einer eine neue Schublade auf. Das trifft erstaunlicherweise auch auf Gustav Klimt zu, der hierzulande ja wahrlich kein Unbekannter ist. Am 6. Februar jährte sich sein 100. Todestag, und im Ausstellungsreigen zum Gedenkjahr hat nun auch das Leopold Museum – in Kooperation mit der Klimt-Foundation – so eine neue Schublade aufgemacht. Auch, weil man bei „Gustav Klimt. Jahrhundertkünstler“ sechs Gemälde als neue Dauerleihgaben präsentieren kann.

Es ist nicht die allumfassende Jubiläumsausstellung, aber es ist eine Ausstellung, die wieder neue Einblicke in die Klimt-Welt gibt. Hans-Peter Wipplinger, Chef des Leopold Museums und Kurator, beschreibt die Schau als „acht verschiedene Themeninseln, um das Werk Klimts nachzuvollziehen“. Darunter einschneidende Lebensstationen des Künstlers, die in den jeweiligen Räumen verdichtet werden: Es beginnt mit Klimts Anfängen, tief verwurzelt im Historismus, seine Porträts sind im Wiener Großbürgertum begehrt. Doch seine Kunst und sein Anspruch daran ändern sich über die Jahre gewaltig.

Gustav Klimt mit Katze
Gustav Klimt mit Katze © Leopold Privatsammlung

Der Bruch mit den Konventionen zeigt sich am spektakulärsten bei der Ablehnung seiner drei Deckengemälde für die Universitätsaula 1894. „Philosophie“, „Medizin“ und „Jurisprudenz“ wurden in der öffentlichen Rezension geradezu vernichtet. Denn die Wünsche von Maler und Auftraggeber gingen weit auseinander, so Wipplinger: „In seinem Zyklus dominierte das Erotische, das Naturhafte.“ Erwartet hatte man sich offenbar ein künstlerisches Loblied auf die hohe Kunst der Wissenschaft. Klimt war außer sich und zahlte seinen Vorschuss zurück: „Genug der Zensur. Ich greife zur Selbsthilfe. Ich will loskommen. Ich will aus allen diesen unerquicklichen, meine Arbeit aufhaltenden Lächerlichkeiten zur Freiheit zurück. Ich lehne jede staatliche Hilfe ab, ich verzichte auf alles.“ Die drei Gemälde, die in den letzten Kriegstagen 1945 auf Schloss Immendorf verbrannt sind, werden als Reproduktionen gezeigt.

Am Attersee von Gustav Klimt
Am Attersee von Gustav Klimt © Manfred Thumberger,Leopold Museum

Jedes Mal aufs Neue beeindruckend sind Klimts Landschaftsbilder. Einen zusätzlichen Blick hinter die Kulissen bieten die vielen Fotos, Postkarten und Schriftstücke, etliches davon ist zum ersten Mal zu sehen und bettet das Werk Klimts in das kulturhistorische Umfeld von damals ein. Einen gänzlich neuen Blick auf Klimt bekommt man aber durch Teile seiner Sammlung afrikanischer und asiatischer Kunst. „Das sind Objekte, die die Aura von Gustav Klimt ausatmen“, so Kuratorin Sandra Tretter von der Klimt-Foundation. Nordostafrikanische Ahnenfiguren, eine japanische No-Maske oder ein goldener Drache – das waren, wie auch Tretter bestätigt, für Klimt wertvolle Inspirationsquellen.

Gustav Klimt besaß viele Asiatika, darunter diese chinesischen Lotusschuhe aus dem 19. Jahrhundert
Gustav Klimt besaß viele Asiatika, darunter diese chinesischen Lotusschuhe aus dem 19. Jahrhundert © Susanne Rakowitz
"Die Braut" (1917/18) von Gustav Klimt
"Die Braut" (1917/18) von Gustav Klimt © Klimt-Foundation

Höhepunkt der Schau ist jedoch eine Art Familienzusammenführung, der auch räumlich Rechnung getragen wurde. Was Museumschef Wipplinger baulich als „Kathedrale“ bezeichnet, ist ein abgedunkelter Raum, in dem „die visionäre Trilogie in Klimts Spätwerk“, so Tretter, aufeinandertrifft: „Tod und Leben“ (1910/11), „Die Jungfrau“ (1913, nur als Lichtdruck zu sehen) und „Die Braut“ (1917/18). Es sind Todesfälle im Familien- und Bekanntenkreis, die Klimt in dieser Zeit zu verarbeiten hatte. Der Kreislauf des Lebens bildet sich hier beeindruckend ab. Das letzte Skizzenbuch des Künstlers zeigt Klimts intensive Erarbeitung der unvollendet gebliebenen „Braut“.

Apropos Braut: Dass Klimt der Damenwelt sehr zugeneigt war, ist kein Geheimnis. Seiner wichtigsten Bezugsperson, der Designerin Emilie Flöge, ist jedenfalls ein kleiner Raum gewidmet. Er zeigt eine fortschrittliche Frau, die unbeirrt ihre Visionen umsetzte. Sie als frühe Influencerin zu bezeichnen, wäre falsch. Denn Emilie Flöge erreichte, was viele nie schaffen werden: Sie war unersetzbarer Teil einer grandiosen Geschichte.