Einerseits sind es nur 50 Werke. Andererseits versammelt diese Schau gezählte 923 Einzelblätter: Das „Bruseum“ zeigt ab heute Günter Brus‘ „Bild-Dichtungen“. Ein Oeuvre, das man in Graz gut zu kennen glaubt, „das wir aber“, sagt Peter Peer, Leiter der Neuen Galerie, „so explizit noch nie betrachtet haben.“

Corona macht‘s möglich. Weil die Planungssicherheit anderer Ausstellungsvorhaben nicht gewährleistet war, wurde die Ausstellung eingestreut – und erweist sich als überquellende Schatzkammer, die oft und nie Gesehenes vereint. Den kurz nach Brus‘ aktionistischem Höhe- und Endpunkt „Zerreißprobe“ (1970) entstandenen Bild-Text-Band „Irrwisch“ (1971) ebenso wie letztes Jahr im ersten Lockdown entstandene Aquarelle. Die Ausstellung unternimmt den nicht unbeträchtlichen Versuch, den Ursprung der Bild-Dichtungen und ihre Veränderung über die Jahrzehnte nachzuzeichnen und präsentiert dabei bekannte und wengier bekannte Serien wie „Der Balkon Europas“, „Die Zernunft“ und „Das Namenlos“, „Der Stadtpark“, „Ruhestörung“, „Das erotische Testament“. Etliche stammen aus den Achtzigern, „einer Zeit, in der Brus wie besessen gearbeitet hat. Da sind sicher zehntausend teils sehr elaborierte Blätter entstanden“, führt Kurator Roman Grabner aus.

Besessener Zeichner: Ansicjt der Ausstellung "Bild-Dichtungen" im Bruseum
Besessener Zeichner: Ansicjt der Ausstellung "Bild-Dichtungen" im Bruseum © UMJ

Manche dieser Serien umfassen gerade eine Handvoll Blätter. Das Herzstück der Schau, „Brus‘ and Blake’s Job“ aus den Jahren 2007/08, hat ganze 162. Nach „Die Erzeugung der Erzengel aus Schmutz“ (1977) war das die zweite Auseinandersetzung Brus‘ mit dem britischen Dichter, Mystiker und Maler William Blake, und sie zeigt exemplarisch, dass seine Texte und Bilder einander nicht illustrieren, sondern autonom miteinander interagieren.

Bild- und Text-Anteile ändern sich von Serie zu Serie; sichtbar werden aus der Fülle aber auch die wiederkehrenden Motive, die Schwarze Romantik in Brus‘ Kunst: Erotik, Grauen, Wahn, Schmerz, Tod. Aber auch die Brillanz des Fabulierers und Wortschöpfers Brus wird in der Schau ersichtlich: In „Schlafmittag“ bewegt sich die Zeit „wie ein am Boden festgeschraubter Schaukelstuhl“, in „Reizzeit“ erfindet er neue Farben wie "Weissglutweiss“, „Dachsblond“ und „Balalaikagrün“.

Günter Brus: "Reizzeit"
Günter Brus: "Reizzeit" © (c) universalmuseum joanneum

Die bisher großteils unbeachtet gebliebenen Texte der Bild-Dichtungen werden demnächst auch erstmals wissenschaftlichen Betrachtung unterzogen: in einer Publikation zur Schau, die im Sommer erscheint und auch alle 923 Blätter der Ausstellung umfassen wird.

Bild-Dichtungen. Bruseum, Neue Galerie Graz. Soft-Opening am 17. Juni, 18 bis 22 Uhr. Bis 17. Oktober. www.museum-joanneum.at