Maya Hawke ist gerade gefühlt überall. Mit dem klug wie poetisch getexteten und verträumt-akustischen Gitarren-Folk-Pop ihres zweiten Albums "Moss" bezirzt die Tochter von Uma Thurman und Ethan Hawke gerade Freundinnen und Freunde erstklassiger, handgemachter Musik. Und auch als Schauspielerin ist die 24-Jährige, die in New York zur Welt kam und neben dem zwei Jahre jüngeren Bruder Levon noch einige Halbgeschwister aus den früheren oder späteren Beziehungen ihrer Eltern (verliebten sich 1997, ließen sich 2005 scheiden) auf dem Weg nach oben. Aufgefallen ist sie vielen das erste Mal als Blumenmädchen im Charles-Manson-Harem in "Once Upon A Time In Hollywood" (2019), der Mainstream-Durchbruch gelang ihr in der Rolle der Robin Buckley in "Stranger Things", bald wird Maya im neuen Wes-Anderson-Film "Asteroid City" zu sehen sein. Und für die aktuelle Calvin-Klein-Kampagne hat sich Hawke in Leibwäsche ablichten lassen. Wir sprachen mit Maya Ray Thurman Hawke, so ihr vollständiger Name, über Video in Los Angeles. Sie saß an einem Esstisch, trug ein weißes Schlabbershirt und war konzentriert, reflektiert und einfach auch ausgesprochen nett.

Maya, Sie sind gerade in Los Angeles, es ist 11 Uhr morgens. Gehören Sie zu den kreativen Hollywood-Menschen, die um diese Zeit schon wahnsinnig viel erledigt haben?
MAYA HAWKE:
Äh, nö (lacht). Ich bin nicht einmal besonders spät aufgestanden, aber abgesehen von ein paar Kleinigkeiten in den sozialen Medien habe ich noch nichts Nennenswertes vollbracht heute Morgen. Ich bin ohnehin kein Mensch, der gern unter einem straffen Zeitregiment lebt. Ich habe auch keine festen Routinen oder so. Ich mag Spontaneität.

Spüren Sie im Voraus, wenn Ihre Kreativwellen kommen?
Ansatzweise schon. Ich antizipiere oft, wenn der Wind sich sozusagen dreht. Wenn ich mich eine Zeit lang unbeschwert gefühlt habe, fühle ich das heranziehende Stimmungstief, noch bevor es mich erreicht. Umgekehrt weiß ich aber auch, wann es wieder aufwärtsgeht. Es ist ein Segen für mich, dass es viele Dinge gibt, die ich gern mache. Ich schreibe gerne Songs, ich schauspielere gerne, ich mag meine Freunde. So weiß ich meistens, was ich in der jeweiligen Stimmung am besten mit mir anstellen kann.

Sie nehmen sich viel Zeit zur Selbstreflexion. Ist das angenehm?
Na ja, Selbstreflexion bringt dich weiter, ist aber auch mit Schmerzen verbunden. Ich schreibe meine Lieder vorwiegend mit ein paar Freunden zusammen, und uns allen ging es nach der Coronazeit nicht wirklich toll. Die meisten der Songs entstanden im Sommer 2021, damals fühlte sich das Leben an, als sei man aus dem Winterschlaf erwacht und bewege sich mit tapsigen Schritten wieder zurück in seine alte Welt.

Sind Sie ein introvertierter Mensch?
Alle, die mich je getroffen haben, würden dir sagen, dass ich extrovertiert bin. Außer vielleicht ein paar meiner engsten Freunde. Ich habe kein Problem damit, auf einer Party die Sau rauszulassen und superkommunikativ zu sein, aber es gibt auch Facetten an mir, die ich für mich behalte. Ich bin in meiner eigenen etwas seltsamen Art eine sehr private Person.

Begegnen Sie dem Erwachsensein insgesamt mit Skepsis?
Ich mag es, zu reifen und mich beständig weiterzuentwickeln. Aber ich will niemals fertig sein oder das Gefühl haben, ich sei angekommen.

Haben Sie eine Vorstellung davon, ob und wie Sie ohne künstlerische Ausdrucksmöglichkeiten in der Welt zurechtkommen würden?
Das ist eine interessante Frage, mit der ich mich glücklicherweise nie beschäftigen musste. Ich hatte immer meine Kreativität als einen Anker im Leben. Ich weiß noch gut, wie ich als sehr kleines Mädchen oft noch spätabends im Büro meines Vaters im "Chelsea Hotel" in Manhattan war, nicht schlafen konnte, Angst hatte oder traurig war. Dann holte er sich zu mir an die Schreibmaschine, und wir schrieben zusammen ein Gedicht. Ich erinnere mich auch, mit meiner Mutter auf dem Land zu sein, Blumen zu pflücken und sie zum Trocknen in dicke Bücher zu pressen. Es gab eigentlich nie eine Zeit in meinem Leben, in der Kreativität nicht zentral war. Sie war immer mein Werkzeug, um Freude, Schmerz und Veränderung zu begleiten.

Wann haben Sie angefangen, eigene Songs zu schreiben?
Ich bin mit Musik groß geworden. Leonard Cohen, Joni Mitchell, Woody Guthrie, Bob Dylan, Fiona Apple – immer schon fühlte ich mich zu den Gefühlen hingezogen, die sie ausdrückten. Bei diesen Musikerinnen und Musikern habe ich mich gut aufgehoben und verstanden gefühlt. Schon als noch sehr jung war, wollte ich meine eigenen Emotionen in Songs verpacken und mir selbst dabei helfen, mich zu verstehen.

Wie alt waren Sie, als Sie Ihre ersten Songs geschrieben haben?
Vielleicht neun, höchstens zehn. Zwischendurch hörte ich ein paar Jahre auf, im College fing ich wieder an und blieb dann dabei. Musik ist für mich die beste Möglichkeit, mich anderen Leuten mitzuteilen. Sauer zu sein und jemanden anzuschreien, das klappt bei mir nicht so gut. Weiß nicht, das Gegenüber hört eh nie richtig zu oder schreit bloß zurück. Aber wenn ich singe, dann horchen die Menschen auf. Gerade als Kind hatte ich immer diese Traurigkeit in mir. In vielerlei Hinsicht war ich ein ziemlich melancholisches und einsames Kind. Mich in meinen Liedern auszudrücken, hat mir im Leben sehr geholfen.

Im Song "Thérèse" spielen Sie auf das Gemälde "Thérèse Dreaming" des polnisch-französischen Künstlers Balthus an, das im New Yorker Metropolitan Museum of Art hängt. Auf dem Bild sitzt ein junges Mädchen in selbstvergessener Pose auf einem Stuhl, es hat die Hände über dem Kopf verschränkt, man sieht seine weiße Unterhose. Finden Sie sich in Thérèse wieder?
Ich liebe dieses Bild, seit ich klein bin. Ich weiß gar nicht, wie oft ich mit meiner Mutter oder später auch alleine im Museum war, um es mir anzuschauen. Thérèse ist so cool, so unbelastet, so frei. Als Kind war sie für mich total real, so wie auch Harry Potter für mich eine reale Person war und keine Buchfigur.

Vor einigen Jahren entbrannte um das Bild eine Kontroverse. Es gab eine – erfolglose – Petition, es abzuhängen, weil es sexistisch sei und ein junges Mädchen in allzu voyeuristischer Pose zeige.
Als ich von dieser Debatte erfuhr, gab das den Ausschlag, mich wieder mit diesem Gemälde zu beschäftigen und letztlich diesen Song zu schreiben. Ich habe dabei nicht an den Maler und seine möglichen Motive gedacht, sondern an das Mädchen selbst. Thérèse lebt in diesem Augenblick in ihrer eigenen Gedankenwelt, sie achtet nicht darauf, wie andere sie sehen, sie ist ganz nah und unmittelbar bei sich selbst. Das Problem liegt nicht bei ihr, sondern bei der Person, die sie anglotzt.

Im Musikvideo zu "Thérèse" feiern Sie unbekleidet mit einer Gruppe von anderen Menschen eine Art Orgie im Wald. Um den Clip online zu sehen, muss man etwa bei Youtube erst sein Alter nachweisen.
Das ist typisch für diese Art von Prüderie und Konservatismus, wie sie vor allem in den USA herrscht. Das wird, so ist mein Eindruck, immer schlimmer. Du hast Tausende von Videos mit horrender Gewalt, auf denen Menschen erschossen werden, und die kann sich jeder jederzeit angucken. Aber eine weibliche Brustwarze und alle flippen immer noch aus. Woher kommt nur diese Angst vor der weiblichen Sexualität?

Haben Sie eine Theorie?
Mir scheint das nicht logisch. Sobald einem Mädchen Brüste wachsen, ist die Gesellschaft auf einen Schlag der Ansicht, sie sei ein sexuelles Wesen. Nun musst du dich bedecken, vorsichtig sein, aufpassen, wie Männer dich angucken oder sich dir nähern. Die Gesellschaft sagt nicht: Mädchen, genieße deine Pubertät und probiere dich aus. Sie sagt: Mädchen, hüte dich. Mein Video soll die freie, selbstbestimmte, weibliche Sexualität aus der Schmuddelecke rausholen und feiern. Wir haben ein Recht darauf, uns wohlzufühlen, ohne angestarrt und bewertet zu werden. Wir alle sind sexuelle, freie, tagträumende Wesen, das sollte uns die Gesellschaft nicht nehmen. Wir alle haben das Recht, wie Thérèse zu sein.

Die Ära, die Ihrem Ideal am nächsten kommt, war wohl die Hippie-Zeit.
Ja, total. Das war vielleicht das liberalste Zeitalter, das es jemals gab. Ich würde mir so sehr wünschen, dass unsere Gesellschaft sich wieder in diese Richtung bewegt. Natürlich gab es seinerzeit auch viel Falsches und Kritikwürdiges, wie in jeder grundsätzlich positiven Bewegung. Aber wenn ich die Wahl habe zwischen Freiheit und Selbstbestimmtheit und einem moralisierenden Konservatismus, dann nehme ich jederzeit die Freiheit.

Maya Hawke "Moss"