"In Schwabing gibt’s a Kneipn, die muss ganz was bsonders sein, da lassens solche Leut wia di und mi erst gar ned nei“ 

Als die Spider Murphy Gang Anfang der 80er im Song "Schickeria" die Bussi-Bussi-Gesellschaft Münchens auf die Schippe nahm, war diese Schickeria bereits am absteigenden Ast. Das ist einer der Dinge, die man von der in vier Etappen aufgeteilten Historiendoku auf Amazon Prime lernen kann. Reisebegleiter sind Iris Berben und Thomas Gottschalk, beide selbst langjährige Mitglieder der Schickeria.

In München ging die Saat der Sechziger auf, eine junge, bunte Szene befreite sich vom bajuwarischen Nachkriegsmief. Man importiere die Beatmusik aus Liverpool, das Hippiegefühl aus den USA, die Mode aus London: München wurde zu einer echten Metropole, in der die Tagediebe, "Gammler", Bohemiens, Angeber, emanzipierte Frauen und Künstler den Ton angaben. Der amerikanische Soldatensender AFN öffnete genauso die Türen zu einer neuen Welt, wie die Drogen, die ganz am Anfang noch im Dienste der Bewusstseinserweiterung standen. "Es ging um Räusche und um Gesellschaftsveränderung", sagt Iris Berben an einer Stelle. Feminismus, Freizügigkeit, politisches Bewusstsein und der Spaß am Leben gingen Allianzen ein, die erwähnten Mief natürlich nie ganz verdampfen ließen, die München aber in eine der spannendsten Städte Europas verwandelten.

Der Hedonismus der frühen Jahre war noch Teil einer Emanzipation gewesen, in den Siebzigern wurde dieser Lebensstil zusehends Selbstzweck. Die Gentrifizierung von Schwabing sorgte für einen Wandel in der Schickeria. Die originellen Typen gingen, die mit Geld blieben. Die Gesellschaft zeigte sich wieder zugeknöpfter, das bunte Treiben rief Repressalien hervor.

"Ganz München wurde zum Sperrbezirk", erzählt Thomas Gottschalk. Die Party ging zwar weiter, aber in exklusiven Zirkeln wie im Club P1, wo Gastro-Erbe Michael Käfer hinter verschlossenen Türen die Schönen und Reichen versammelte. Nobeldiscos wie das P1 waren auch im Lied der Spider Murphy Gang gemeint. Sänger Günther Sigl: "Vor unseren Hits hatte ich keine Chance, an den Türstehern vorbeizukommen." Sigl zählt neben Michael Käfer, Aktrice Cleo Kretschmer, Klatsch-Reporter Michael Graeter, Model Ursula Buchfellner und anderen zu den Protagonisten, die in "Schickeria" zu Wort kommen. Trotz einiger formaler Schwächen ist die Doku nicht nur für Nostalgiker ein Schatz: Allein die fantastischen Aufnahmen aus den Archiven erlauben den kurzen Blick in eine Welt, in der es kurz schien, als würde alles gehen.

"Schickeria". Doku in vier Teilen auf Amazon Prime.