"Ganz Graz" war im Stefaniensaal zugegen und die leichte Aufgeregtheit schon im Congress-Foyer merkbar – schließlich war Starpianist Igor Levit angekündigt. Dass der medial überaus präsente Musiker (vor Kurzem erst lief ein Filmporträt in den Kinos) zu den nachdenklichen, politisch engagierten der Zunft zählt, schlägt sich häufig direkt in die eigenwillige Programmatik seiner Klavierabende nieder.

Auch das Graz-Konzert im Rahmen einer längeren Tournee zerfiel in zwei völlig unterschiedliche Konzerthälften. Die erste drehte sich um Choräle und Folksongs, also um Musik von Gemeinschaften bzw. Gemeinden, während sich die zweite den hyperindividualistischen (Künstler-)Lebensentwürfen der Romantik widmete.

Der unprätentiöse Ernst, mit dem Igor Levit aus den Choralvorspielen von Johannes Brahms vortrug, und die lyrische Einfachheit und Sanglichkeit von Fred Herschs "Variations on a Folk Song" waren vor allem dazu angetan, Erwartungshaltungen zu enttäuschen. Levit protzte nicht mit Virtuosität, sondern kehrte das Innere nach außen.

Womit wir auch schon beim zweiten Teil wären, den Levit mit Werken von Franz Liszt und dessen Schwiegersohn Richard Wagner bestritt. Auch deren hochromantischen Exaltationen nutzte Levit für einen Blick nach innen.

Einen so sanften, filigranen Tristan-Akkord wie in dieser Bearbeitung des Vorspiels von "Tristan und Isolde" hat man kaum je gehört. Levit machte aus dem Präludium zu Wagners Oper ein impressionistisches Gemälde, eine Gefühlsaufwallung im Rahmen eines elegischen Untergangs, die er attaca in die h-Moll-Sonate von Liszt übergehen ließ. Auch in diesem extremen Seelenbild war wenig von den virtuosen Effekten oder romantischer Theatralik zu hören. Der Pianist fühlt sich dem (mit erhabener Schlichtheit interpretierten) Adagio sostenuto verbundener als dem Grandioso-Teil. Levit zeichnete ohne Pathos beeindruckende Spannungskurven, horchte immer wieder dem Klang nach, stellte die Pianissimo-Akkorde als zarte Fragen in den Raum und demonstrierte anhand des legendären Pianisten Franz Liszt, dass auch hinter dem größten Virtuosen ein Mensch voll nagender Zweifel stecken muss.