Im Jahr 2017 schien die Opernwelt noch in Ordnung: Anna Netrebko gab die Aida und überstrahlte damit wohl ohnehin alles. Die russische Sängerin ist seit Februar dieses Jahres aus bekannten Gründen auf vielen Bühnen der "westlichen Welt" Persona non grata, in Salzburg war aber ohnehin nicht vorgesehen gewesen, dass sie ihre Partie noch einmal aufnimmt. Nebensatz: Auch 2023 wird Anna Netrebko nicht bei den Festspielen zu hören sein.

Elena Stikhina tritt in gewaltige Fußstapfen, die ihr noch ein bisschen zu groß sind. Sie singt eine Aida ohne allzu großen dramatischen Aplomb, aber mit betörender Farbe, gerundeter Lyrik und schönen Piani. Stark auch Ève-Maud Hubeaux als Amneris-Einspringerin. Sie bleibt zwar den Furor der Figur zwar schuldig (sie klingt eher frustriert als bösartig), steigert sich aber im vierten Akt außerordentlich, um den Schmerz der verschmähten Frau hörbar zu machen. Als Sieger kehrt an diesem Abend aber doch Piotr Beczala heim. Für den Tenor ist der Radamès noch eine neue Partie, deren dramatische Anforderungen er bisher wohlweislich gemieden hat. Tatsächlich klingt er nicht immer ganz so entspannt-natürlich und geschmeidig wie sonst, aber auch trotz der (minimalen) Einwände hat er sich sofort als einer der besten Sänger dieser Rolle etabliert: Die Stimme hat einfach Feuer und Kultur, Schmelz und Kontrolle. Und Beczala hat Mut zum Piano.

Dirigent Alain Altinoglu am Pult der wie üblich formidablen Wiener Philharmoniker bietet nichts Außergewöhnliches, aber Grundsolides, manches gerät etwas breit. Luca Salsi ist ein ebenso solider Amonasro, Erwin Schrott singt den Ramfis überraschend kontrolliert, Roberto Tagliavini bringt für den König keine wuchtige Autorität mit, singt aber ebenso niveauvoll.

Es wäre also alles gut, wenn der Abend nicht szenisch einige Kopfschmerzen bereiten würde: Die Filmemacherin und Künstlerin Shirin Neshat hat eine Art begehbare Installation geschaffen, das Bühnenbild ist auch Projektionsfläche für diverse Schwarz-Weiß-Filmeinspielungen, bleibt sonst aber der Rahmen für ein steifes Schreit-, Sitz- und Stehtheater, dessen Rituale das Leben aus dem Geschehen geradezu herausziehen. Vielleicht ist diese Statik ja Absicht, um die Unbeweglichkeit eines tief nationalistischen, tief religiösen Gesellschaftsregimes zu illustrieren.

Nur im dritten Akt müssen die Figuren etwas dynamischer spielen (das gibt die Musik ja auch so vor), aber bei den Erfordernissen des genuin Theatralischen schrammt die Inszenierung bisweilen haarscharf am Dilettantischen vorbei.

Neshat setzt nun mehr Filme ein und hat dem Look der Inszenierung einen Downgrade verpasst, die Kostüme sind nun deutlich schlichter, aber ihre Erzählung über Frauen und Männer, über Nachbarschaftskämpfe und Kolonialismus hat ihre besten Momente, wo sie tatsächlich gar nicht wie Oper tut, sondern wie besagte Installation: die Bilder zum Triumphmarsch, zur Trauer der Kriegsopfer, der minutenlange Blick in riesige auf den Vorhang projizierte Gesichter. Starke Einzelbilder, die dazu taugen, diesen (ziemlich konventionellen, seit jeher nur von der Musik Verdis beglaubigten) Opernstoff ins allgemein Humanistische zu weiten, während alles direkt die Handlung Betreffende schmerzhaft banal gerät.