Bis jetzt waren zwei Gesamtzyklen der acht Symphonien Franz Schuberts mit Nikolaus Harnoncourt als CD und Stream greifbar. Ein Zyklus aus den 90er-Jahren mit dem Concertgewbouworkest Amsterdam sowie eine aus den 00er-Jahren mit den Berliner Philharmonikern. Der Dirigent hatte sich aber schon davor mit Schubert auseinandergesetzt. Im Juli 1988 dirigierte er die Werke im Grazer Stefaniensaal am Pult des Chamber Orchestra of Europe. Die „styriarte“-Mitschnitte sind nun erstmals zugänglich. Und sie sind keineswegs nur für Fans des 2016 verstorbenen Musikers interessant, ergänzen sie doch die späteren Aufnahmen auf spannende Weise.

Die Interpretationen aus Graz sind kantiger und frischer als die späteren. Harnoncourt leuchtet die Harmonien härter aus, vieles wirkt noch ein bisschen eigenwilliger phrasiert und mitunter auch theatralisch. Einzelstimmen treten aus dem schlanken Orchesterklang stärker hervor, manchmal werden sie manieriert in die Auslage gestellt. Vor allem in Amsterdam klang das vergleichsweise gerundeter, wobei die letzten, detailfreudigen Aufnahmen aus Berlin den Revoluzzer wieder stärker hervorkehren. Weil diese vielfältigen Berliner Aufnahmen dichter klingen (und bisweilen schon Bruckner erahnen lassen) und wegen der Aufnahmetechnik sind sie auch den frühen, aggressiveren Grazer Aufnahmen wohl immer noch überlegen. Aber allein als Dokumente einer Ent-Harmlosung Schuberts sind die Grazer Aufnahmen schlicht epochal.

Franz Schubert. Die Symphonien. Nikolaus Harnoncourt, Chamber Orchestra of Europe. (ICA). Auf CD und im Stream.