Es ist erstaunlich, wie sich der Blick auf die Titelfigur von Richard Strauss’ „Salome“ geändert hat. Aus der dekadenten Blume Judäas, einer blutrünstigen Prinzessin, in der sich die erotische Überreizung des Fin-de-siècle widerspiegelte, wurde sukzessive ein Opfer der Verhältnisse, ein schon als Kind missbrauchtes und zu Grunde gerichtetes Mädchen. In der Inszenierung von Nikolaus Habjan liegt die Sache nicht viel anders: Hinter der lüsterne Blicke auf sich ziehenden Kindfrau steckt ein Wesen, dass seine erotischen Reize zu unbedarft einsetzt, und an seiner eigenen adoleszenten Verwirrtheit und Orientierungslosigkeit zerbrechen muss.

Habjan, der für seine psychologisch feingezeichnete „Salome“ erst auf Puppen verzichten wollte, hat nun doch wieder zwei in Einsatz. Hinter dem Alter Ego der Salome-Puppe verbirgt sich die „echte“ mit Kurzhaarschnitt, verkörpert von Marlis Petersen. Petersen ist eine grandiose Salome. Im Gegensatz zu den schwergängigen Sopranen, die hier oft Mode waren, hat sie eine bewegliche, austarierte Stimme. In der Tiefe fehlt es ihrem funkelnden, doch warmen Sopran zwar an Volumen, aber seine dichte Mittellage, die exzellenten Piani und Höhen und nicht zuletzt die exemplarische Wortdeutlichkeit ergeben ein hinreißendes Porträt, das Petersen auch darstellerisch beglaubigt

Die zweite Puppe zeigt Jochanaan als ausgermergelten Gottesmann, in dem ein dunkler Dämon (Johan Reuter) wohnt. Spannung erhält Salomes Duell mit dem Täufer, weil Reuter eine ideale Stimme mitbringt. Sein Prophet ist weder staubtrockener Dogmatiker (wie weiland Dietrich Fischer-Dieskau) noch fanatisch polternder Hassprediger (wie so viele andere), sondern ein kultiviert mächtiger, autoritärer Gegenspieler für Salome.

Viel Blut, große Genauigkeit

Habjan hält sich genau an die Vorlage samt Zisterne, abgeschlagenem Kopf (mit viel Blut) und weißen Pfauen und findet für „Salomes Tanz“ – schwer genug – eine unpeinliche, überzeugende Lösung. Der geile Herodes ist die Inkarnation dieser dekadenten Gesellschaft, die sich mit monumentaler Beton-Architektur (Bühne: Julius-Theodor Semmelmann) umgibt. Da kann nur das Böse gedeihen. John Daszak singt den Ausbund an Schlechtigkeit mit kraftstrotzendem Charaktertenor. Martin Mitterrutzner ist ein vorzüglicher, mozarthafter Narraboth, während Michaela Schuster der Heriodas Stimmkultur beibringt.

Weil das riesenhafte Stück nicht in den filigranen Theaterbau Platz hat, reduzierte Komponist Eberhard Kloke die Besetzung von 104 auf 59 Orchestermusiker. Aber nirgends wirkt es wie eine Sparfassung. Die gewonnene Durchhörbarkeit rückt die zahllosen Schönheiten der Partitur ins beste Licht. Manchmal vermisst man das Schwelgerische, obwohl Leo Hussain am Pult des RSO Wien die Lyrismen sehr breit zelebriert. Und im zweiten Teil dröhnt es trotz verkleinerter Besetzung doch sehr. Macht nix, es bleibt so oder so ein Spitzenabend.