Weil die Wiener Philharmoniker just am letzten Premierenabend der Saison ihr Schönbrunner Massenkonzert geben mussten, sah sich das Publikum der Staatsoper gezwungen, in glühender Nachmittagshitze zu erscheinen. Manche Dame trug ihren Fächer bei sich, die Herren entledigten sich leger ihrer Sakkos. Nur die Musiker kannten keine Erleichterung.

Ob es auch daran lag, dass lange kein Schwung in die Sache kommen mochte? Zu Giuseppe Verdis aufpeitschender Sturmmusik bewegten sich edel gekleidete Zeitgenossen des Komponisten durch die monumentalen mobilen Wände, die Dick Bird entworfen hat. Gepflegt und spannungsarm begann auch Myung-Whun Chung seine Interpretation des aufwühlenden Spätwerks. Lyrisches liegt dem Maestro aus Korea offenbar nicht. Je aberwitziger der Abend, desto mehr trat aber sein Sinn für dramatische Zuspitzung hervor. Ungehemmt ließ Chung die Philharmoniker ihre Krallen zeigen, wo es der Komponist vorsieht. Nach der Pause folgte das hitzegeschwächte Publikum atemlos gebannt den bizarren Ausbrüchen des umnachteten Helden.

Tenorheld in der Titelrolle

Held ist das richtige Wort für Aleksandrs Antonenko, den Otello. Auch er plagte sich mit den Tücken des innigen Liebesduetts im ersten Akt. Im Wahnsinn erst zeigte sich die darstellerische und stimmliche Wucht dieses Sängerschauspielers. Ohne Rücksicht auf Verschleiß identifizierte sich der lettische Tenor mit dem tragischen Opfer einer finsteren Intrige. Im abrupten Wechsel zwischen mühsam erkämpfter Selbstbeherrschung und Kontrollverlust zeichnete er das Bild eines krankhaft eifersüchtigen, von Minderwertigkeitsgefühlen geplagten Machtmenschen.

Umso erstaunlicher die Ruhe seiner Gemahlin Desdemona. Trotz ungeheuerlicher Anschuldigungen singt Olga Bezsmertna fast ungerührt die schönsten Kantilenen. Erst im Aufschrei vor ihrem Ende klingt die Panik durch, die in ihrer Rolle angelegt wäre. „Otello“ gäbe es nicht ohne den Finsterling Jago und sein teuflisches Intrigenspiel. Vladislav Sulimsky, neu an der Staatsoper, kaschierte seine mörderischen Absichten hinter einem pracht- und kraftvollen Bariton. Jinxu Xiahou ist eine Edelbesetzung des Cassio. Margarita Gritskova formt aus der Nebenrolle der Emilia eine starke Charakterstudie.

Und die Regie? Adrian Noble begnügt sich mit kluger Personenführung, steigert die Wirkung durch Verzicht auf Überzeichnung und Doppelung der Musik. Nur anfangs lässt er zu viel geschmäcklerischen Plunder auffahren. Der Abend zeigt, wie wenig nötig ist, um eine grandios Oper wirkungsvoll auf die Bühne zu bringen – das fand offenbar auch das Publikum.

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