Christian Thielemann wird am 1. Jänner 2019 zum ersten Mal das Neujahrskonzert der Wiener Philharmoniker leiten. Für den deutschen Dirigenten, den man vor allem mit Wagner, Strauss und Beethoven assoziiert, ist das aber weniger Feuertaufe, als man vielleicht denken mag. Diese Musik, sagt er im Gespräch, "tut allen gut".

Die APA traf Thielemann gemeinsam mit Philharmoniker-Vorstand Daniel Froschauer und Geschäftsführer Michael Bladerer in Berlin zum Interview. Über Neujahr und Walzer sprach Thielemann dabei gerne. Zu den Turbulenzen bei "seinen" Osterfestspielen Salzburg nach der Bestellung von Nikolaus Bachler zum Intendanten hieß es dagegen strikt: "Kein Kommentar."

Als Dirigent denkt man bei Ihnen zunächst an Wagner - an das große, schwere Repertoire. Welche Beziehung haben Sie zur "leichten" Musik der Strauß-Dynastie?

Christian Thielemann: Man hat völlig vergessen, dass ich in meiner frühen Kapellmeisterzeit und auch jetzt in Dresden eine Menge Operette und Spieloper dirigiert habe - das ist dann durch Wagner irgendwie überlagert worden. In Dresden machen wir dieses Repertoire regelmäßig: Die "Witwe", die "Csardasfürstin", nächstes Jahr "Land des Lächelns". Ich habe eine fantastische Beziehung dazu - das ist ja auch das Repertoire, in dem man anfängt. Auch als Orchestermusiker, wenn man vielleicht in einer Kurkapelle aushilft. Und mit dieser Musik in Berührung zu kommen - das tut allen gut.

Was lernt man von ihr?

Thielemann: Man lernt, wirklich fein zu dosieren. Denn man braucht vor allem viel Geschmack. Jedes Ritardando und jedes Rubato muss man mit viel Geschmack machen - und das kommt einem nachher auch bei einem Bruckner oder einem Wagner zugute. Da ist eine Tempoflexibilität gefragt, die jeden Musiker, der diese Musik kennt und kann, viel biegsamer macht.

Ein Orchester wird ja von dem Repertoire, das es regelmäßig spielt, in seiner gesamten Klangkultur geprägt. Hört man den Walzer bei den Philharmonikern, auch wenn man etwas ganz anderes mit ihnen spielt?

Thielemann: Mich verbindet mit diesem Orchester eine jahrzehntelange Freundschaft. Und natürlich - man hört es. Sie sind so, weil sie dieses Repertoire abdecken und natürlich aufgrund ihrer Opernerfahrung. Die Flexibilität, die man mitbringen muss, wenn man mit Sängern arbeitet, die an einem Tag etwas mehr oder weniger Stimme haben - die bedeutet: die Leute im Orchester sind hellwach.

Daniel Froschauer: Das lieben wir aber auch an der Zusammenarbeit mit ihm: wir warten eigentlich darauf, dass der Dirigent mit dieser Flexibilität, die wir haben, auch spielt. Wir haben einmal zusammen die "Meistersinger" in Rom gemacht, und dem Sänger ist immer mehr die Stimme abhandengekommen...

Thielemann: ...wir haben gesagt, wir können ihn jetzt abbügeln, oder wir spielen so leise, dass er noch durchkommt. Er war nachher wahnsinnig dankbar. Wie das Orchester da mitgeht, ganz spontan, mit jeder kleinsten Handbewegung, das ist wirklich unglaublich. Dafür muss man sich natürlich gut kennen.

Gibt es einen Moment, wo man sagt: Der soll jetzt auch das Neujahrskonzert machen?

Froschauer: Uns verbindet schon lange eine große Liebe, von daher war das ein ganz natürlicher Schritt. Wir haben viele Sternstunden gehabt. Aber der Moment war wahrscheinlich 2008, als er bei uns den Ball eröffnet hat. Wir haben die "Sphärenklänge" gespielt - da hat er sozusagen seine Visitenkarte abgegeben.

Thielemann: Da wurde ganz genau hingeguckt. Ob der nicht vielleicht scheitert (lacht). Aber wir wollen ja nicht so tun, als ob dieses Repertoire für einen Wagner-Dirigenten unerschwinglich wäre.

Es wird aber von manchem Wagner-Freund mitunter vielleicht belächelt oder gering geschätzt...

Thielemann: Aber nicht, wenn es die Wiener Philharmoniker spielen. Erst bei einem guten Orchester hört man nämlich, wie wunderbar das instrumentiert ist, zum Beispiel bei einem Lehar oder einem Kalman. Die großen Operetten wurden für die damaligen Gesangsstars geschrieben, das war nicht etwas, wofür man sich zu schade war, ganz im Gegenteil.

Welche Überlegungen gab es denn für das heurige Programm?

Michael Bladerer: Für mich ist der Josef Strauß ein ganz Spezieller, den wir heuer etwas mehr herausstreichen wollten. Er instrumentiert besonders schön und hatte harmonisch wahrscheinlich am meisten Fantasie. In seinen Vorspielen zu den großen Walzern hört man, dass das ein Zeitgenosse von Wagner war. Wir haben dann den "Transaktionen"-Walzer gefunden, ein herrliches Stück.

Thielemann: Mir war wichtig, dass keine Stücke dabei sind, die im Niveau abfallen. Man spielt ja zu Neujahr auch immer einige Erstaufführungen - und manchmal klingen die Titel gut, aber die Musik ist nicht danach. Wir haben ein Programm, das wirklich abwechslungsreich ist und clever zusammengestellt. Außerdem gibt es viele Referenzen zur Staatsoper, die nächstes Jahr 150 Jahre feiert und wo wir ja zum Jubeltag gemeinsam die "Frau ohne Schatten" geben werden (Premiere am 25. Mai, Anm.). Man muss einen Bogen schaffen in diesem Konzert, bei aller Gelassenheit. Es gibt ja nichts Angestrengtes bei dieser Musik, die Welt geht nicht unter, keiner stirbt. Es ist nie tragisch, aber immer süß und melancholisch.

So wäre es in Wien vielleicht auch, wenn die Welt untergeht.

Thielemann: Ja, das ist bei Ihnen in Wien wahrscheinlich wirklich so.

Apropos Weltuntergang: Seit der Designierung von Nikolaus Bachler zum Intendanten der Osterfestspiele gibt es zahlreiche Gerüchte um Ihre Zukunft in Salzburg. Wie geht es weiter?

Thielemann: Kein Kommentar.