Oostrum mit Manuel von Senden
Oostrum mit Manuel von Senden © (c) Werner Kmetitsch

Gestörte und Verstörte, sexuelle Obsessionen, eine Kindfrau als Lustobjekt des Stiefvaters und ein Prophet, der enthauptet wird. Für Richard Strauss bot Oscar Wildes „Salome“-Vorlage eine Gelegenheit, in einer Bibelgeschichte die Dekadenz des Fin de Siècle zu spiegeln. Regisseurin Florentine Klepper nimmt die Steilvorlage dankbar auf. Sie transferiert das Geschehen zwar in eine moderne Designervilla, aber Perversion und Macht sind dort in sattsam bekannter, bisweilen arg klischeehafter Weise ineinander verschränkt. Moralisch zerrüttet, von der eigenen Gefühlswelt grausam entfremdet ist auch Salome, ein manisch auf sich fixiertes Girlie, das kranke Geschöpf einer kranken Umwelt, den sexuellen Begierden des schmierigen Bosses Herodes und dem Hass der Mutter Herodias ausgeliefert. Nicht einmal die Flügel des Todesengels können den Gestank dieses Sündenpfuhls vertreiben.

Johanni van Oostrum singt diese, ihre erste Salome vielschichtig, mit warmem, vollem Sopran, der das mädchenhaft Lyrische der Rolle nicht außer Acht lässt. Etwas, was sie den vielen metallisch-stählern singenden Interpretinnen weit voraushat.

Problematisch inszeniert sind ihre Gegenspieler. Manuel von Senden als Herodes gibt einen blasierten, eingebildeten Bandenchef. Dass Strauss diese Figur musikalisch als von seinen Trieben gelenkten Halbirren charakterisiert, geht fast verloren. Das ist umso bedauerlicher, weil Manuel von Senden einen fantastischen Herodes singt: wortdeutlich, rhetorisch prägnant, präzise.

Auch die Darstellung des Jochanaan ist fragwürdig. Der Prediger, den Strauss auf wuchtige harmonische Fundamente stellt, der (fast) unbeirrbar seine Glaubenssätze doziert und machtvolle, dogmatische Würde ausstrahlt, wird hier zum verzweifelten, am Abgrund stehenden Gefangenen, dessen Visionen ihm ein Strohhalm inmitten der Verderbtheit sind. Das von Strauss raffiniert konzipierte Spiel aus gegenseitiger Abstoßung und Faszination zwischen Salome und Jochanaan bleibt unterbelichtet. Obendrein setzt Thomas Gazheli sein prächtiges Bariton-Material undifferenziert ein, nicht nur die Jesus-Erzählung gerät ihm arg grob und unlyrisch. Das klingt bei den Nazarenern (Neven Crnic, Dariusz Perczak) schon anmutiger, obwohl Dirigentin Oksana Lyniv diesen schwelgerischen Passagen einiges an Reiz nahm. Eine singdarstellerische Klasse für sich ist Iris Vermillion als Herodias, während Pavel Petrovs (gut gesungener) Narraboth verloren und steif in der Szene herumsteht. Ist er gelähmt vor Schreck oder ist das einfach schlechte Personenführung?

Oksana Lyniv und die Grazer Philharmoniker brauchen etwas Anlaufzeit. Lyniv dreht die Lautstärke im Fortlauf des Abends bisweilen sehr auf, die Abstimmung zwischen Graben und Bühne funktioniert nicht immer reibungslos und die Stelle samt der berühmten Dissonanz knapp vor dem Tod Salomes klingt verwischt. Aber es wird über weite Strecken groß aufgespielt: in den reinen Orchesterpassagen etwa. Lyniv unterstreicht die Kühnheiten der Musik, ihr gelingt viel Intensives und sie zeichnet Salomes Tanz mit sicherem Strich. Gezeigt wird der Tanz nicht. Klepper installiert hier einen Fiebertraum aus Videoprojektionen, eine Bilderflut aus Rückblenden und Fantasien. So viel inszenatorischen Mut hätte man sich noch öfter erhofft.