Mit Rossinis „Otello“ gaben Sie 2016 ein gefeiertes Debüt im Theater an der Wien. Nun also Britten und seine Shakespeare-Vertonung. Welche Bedeutung haben der Komponist und dieses Werk für Sie?
ANTONELLO MANACORDA: Britten ist ein Genie des 20. Jahrhunderts. Ein unterschätztes. Leider. Er ist nach wie vor „unbekannt“. Man spricht lieber von Strawinsky oder Schostakowitsch. Als ich seinerzeit Shakespeares Stück gelesen habe, musste ich, wegen der komplizierten Struktur, mehrmals zurückblättern. Britten hat diese Kompliziertheit gemeistert und erklärt. Oft ist bei einer Oper die Musik toll oder der Text. Es gibt nur wenige Werke, bei denen alles passt. Zum Beispiel bei der Mozart/Da-Ponte-Trilogie. Und auch bei „Midsummer Night’s Dream“ haben wir einen solchen Glücksfall.

Sie sind heute künstlerischer Leiter der Kammerakademie Potsdam und Chefdirigent des niederländischen Het Gelders Orkest. Dem Vernehmen nach wollten Sie schon als Kind Dirigent werden?
Das sagen die Freunde meiner Eltern. Ich soll immer auf einen Sessel gestiegen sein und dirigiert haben. Doch als ich sechs war, besuchte ich mit meiner Großmutter eine Aufführung von Beethovens Violinkonzert. Daraufhin marschierte ich zu meiner Mutter und verkündete, dass ich nun Geiger werden wollte. Und das wurde ich.

15 Jahre lang waren Sie Konzertmeister beim von Claudio Abbado geleiteten Mahler Chamber Orchestra?
Ja, mit voller Leidenschaft. Schließlich ist der Konzertmeister ja eine Führungsfigur. Einer, der oft das Orchester retten muss, wenn der Dirigent nicht gut ist. Als ich dann verkündete: „Das war’s mit der Geige, ich wechsle jetzt zum Dirigieren!“, glaubten viele, ich sei verrückt. Für mich jedoch war das eine ganz natürliche Entwicklung. Musikalisch und strukturell bedeutete es keine Änderung.

Claudio Abbado, Ihr großer Lehrmeister?
Grundsätzlich habe ich von den schlechten Dirigenten oft besser gelernt als von den guten. Bei Abbado hatte ich das Glück, vor allem Musik zu lernen. Er war ein unglaublicher Musiker.

Was, glauben Sie, ist Ihre besondere Stärke als Dirigent?
Ich denke, ich habe ein Gespür für das, was ich machen möchte. Wenn ich vor einem Orchester stehe und ein Sänger singt, habe ich sofort das ultimative Ergebnis im Kopf. Ich weiß gleich, was Instrumentalisten und Sänger liefern können. Meist merke ich am ersten Tag, ob es jemand mit viel, viel Arbeit schafft, oder ob es einer nicht kann. Aber ich möchte kein Kontrollfreak sein. Bei mir sollen die Musiker das Gefühl haben, frei zu sein. Ich setze auf Kollegialität. Natürlich muss eine Hierarchie da sein. Aber das Wichtigste ist das Zuhören. Ich mache die Musiker immer aufmerksam, dass wir zuhören sollten, denn die Energie, die vom Publikum kommt, kann man tatsächlich „hören“.