Rodeo

Bewertung: ****
Ein Leben auf der Überholspur: Bikerin Julia (Julie Ledru) wünscht sich wenig sehnlicher. Erst dann, wenn die Motorradreifen in maximaler Geschwindigkeit über den Asphalt laufen und der Wind durch die Haare bläst, fühlt sie sich frei. Frei vom Stress des Alltags, frei von misogynen Vorurteilen ihrer männlichen Mitstreiter. Als der freigeistige Teenie sich einer Crew von Motocross-Fahrern anschließt, kommt sie dem Traum ein großes Stück näher.

Wie die Französin Lola Quivoron in ihrem hochintensiven Debütfilm „Rodeo“ zeigt, ist der Alltag der sogenannten Asphaltpiraten jedoch alles andere als ein Zuckerschlecken. Unerschrocken und blutverschmiert wagt sich Julia dennoch in die risikoreiche Männerdomäne und sieht sich sofort Anfeindungen ausgesetzt. Das heuer in Cannes uraufgeführte Charakterdrama skizziert die Bikerszene als masochistische Machohölle, in der fragile Egos den Takt angeben. Da reicht ein läppischer Verarztungsversuch aus, die männliche Ehre zu kränken. Frau muss hier doppelt so viel leisten, um innerhalb der Community auf Akzeptanz zu stoßen.

Dass sich das dargestellte Milieu greifbar und realitätsnah anfühlt, kommt nicht von ungefähr. Die 34-jährige Regisseurin und Drehbuchautorin Quivoron hat den Subkosmos ihres Films bis ins Detail mit Laien besetzt, die sich auch im echten Leben im Motorsport fortbewegen. Sie selbst ist in den ärmlichen Banlieues der Pariser Großstadt aufgewachsen und hat ihre Erfahrungen ins Drehbuch integriert. Wenngleich auch das Setting auf Bordeaux geändert wurde. Das Streben nach Authentizität spielt dem szeneerfahrenen Cast in die Karten. Hauptdarstellerin Julie Ledru sticht mit ihrer elektrisierenden Präsenz heraus, die sich irgendwo zwischen rebellischer „No Bullshit“-Attitüde und einem passiven Todeswunsch manifestiert. Nahaufnahmen, die Julia in ihrem unermüdlichen Vorhaben begleiten, helfen bei der filmischen Immersion. Und die lässt kaum Zeit zum Durchatmen.

Halsbrecherische Motorrad- und Quad-Kunststücke bringen die Leinwand zum Beben. Illegale Straßenrennen waren im Kino lange nicht mehr so aufregend – eine Qualität, von der sich das „Fast & Furious“-Franchise eine Scheibe abschneiden könnte. Doch unter der draufgängerischen Fassade wuchert eine gesetzlose Welt, vor dessen gefährlichen Seiten man keinen Halt macht. Während die Protagonistin mit diebischen Verkaufsgeschäften punkten möchte, ist ihr die vorstädtische Heimtücke dicht auf den Fersen. Nach einem imposant gefilmten Heist mündet all die motorbetriebene Unruhe in einem dick aufgetragenen, aber passend gewählten Schlussbild, das bitter nachhallt. Jeder Adrenalinrausch hat nun einmal sein Limit. POG

Mit Liebe und Entschlossenheit

Bewertung: ***
Intensives Liebesdrama der französischen Regie-Ikone Claire Denis („Ich kann nicht schlafen“, „High Life“): Oscar-Preisträgerin Juliette Binoche und Vincent Lindon verkörpern Sara und Jean. Als Paar haben sie eine Geschichte. Er war in Haft, nun ist er wieder da – ihre Liebe ist geblieben. Bis Saras Ex François (Grégoire Colin), der einst Jeans bester Freund war, wie aus dem Nichts auftaucht. Und sich die Frau die Frage stellt, was wohl gewesen wäre, wenn sie sich einst für ihn entschieden hätte. Die bei der Berlinale 2021 mit dem Silbernen Bären geehrte Dreiecksgeschichte changiert oft unentschlossen zwischen Fragen von Sehnsucht sowie Selbstbestimmtheit und bietet der wunderbaren Juliette Binoche eine große Bühne für ihre liebende und leidende Figur. Der Soundtrack der Tindersticks treibt alle vor sich her. JS

Ziggy Stardust and the Spiders from Mars

Bewertung: ****
Am 3. Juli 1973 nahm Pop-Ikone David Bowie Abschied von seinem Alter Ego Ziggy Stardust. Schon in den Siebzigern wurde die finale Liveshow von Stardust und seinen „Spiders from Mars“ zu einem Konzertfilm verarbeitet. Aufgrund technischer Gebrechen galt dieser in Kennerkreisen als umstritten. Restauriert und feingeschliffen wird das geschichtsträchtige Material 50 Jahre später auf ein modernes Kinopublikum losgelassen. Und siehe da: die Überarbeitungen haben sich ausgezahlt. Intime Nahaufnahmen führen schwerelos durch den Bühnen-und Gedankenkosmos einer der glamourösesten Kunstfiguren der Musikgeschichte. Zwischen dem außerweltlichen Prunk: ein Gastspiel von Gitarristengröße Jeff Beck hier, ein kommentarlos im Backstagebereich verharrender Ringo Starr da. Nicht nur für Bowie-Fans ist dieses frisch geputzte Zeitdokument ein Must-See. POG