Für einen Spielfilm wäre die Handlung von "Nawalny" zu billig. Doch es ist eine Doku und die Realität ist oft absurd offensichtlich. So auch bei der Vergiftungsaktion des russischen Regimes gegen den Oppositionspolitiker Alexei Nawalny. Der Porträtfilm des jungen kanadischen Regisseurs Daniel Roher ist eine recht glatte Hagiografie. Etwa, wenn er Nawalny beim Füttern eines Ponys filmt oder seine Tochter über seinen möglichen Tod befragt. Im Zentrum steht ein ruhiges Interview mit dem selbstsicheren Sunnyboy Nawalny während seiner Erholung nach der Vergiftung, gefilmt vom Tiroler Kameramann Niki Waltl. Der porträtierte Held stellt dabei seine erste Reaktion nach dem Erwachen aus dem Koma nach, als ihm Leute am Krankenbett davon erzählen, dass ihm das Nervengift Nowitschok verabreicht worden sei. "Come on! So dumm können sie doch nicht sein!"

Recherchen in Wien

Die Aufklärung des Anschlags bildet das Spannungsmoment, das den Film zu einem 98-minütigen Doku-Thriller macht. Dabei ist der Investigativ-Journalist Christo Grozev der Sherlock Holmes, der diesen Kriminalfall überraschend klar löst. Zurzeit hat er seinen Arbeitsplatz in den Wiener Kaffeehäusern aufgeschlagen. Von dort aus hat er sich durch die offen oder über russische Datenhändler verfügbaren Flug- und Telefondaten gewühlt, die zu konkreten Namen und Fotos von Putins staatlichen Attentätern führten.
Der Film begleitet die Endphase dieser Kooperation zwischen Grozev und seiner Recherche-Plattform Bellingcat auf der einen und Nawalnys Team im deutschen Exil auf der anderen Seite. Höhepunkt ist, als der Kreml-Kritiker seine Attentäter anruft – mit überraschenden Reaktionen.

Die bittere Ironie dieses Dokuments liegt im Mai 2022 natürlich darin, dass Nawalny mittlerweile wieder für Jahre im russischen Regime-Gefängnis sitzt und Putin seinen brutalen Ukraine-Krieg extrem ausgeweitet hat, von dem der Kreml-Kritiker im Film nur kurz meint, er würde ihn beenden, weil er zu viel koste. Scheinbar alles hat sich verändert und gerade deshalb ist diese Episode über den effektivsten Putin-Gegner so vielsagend. Und wer weiß: Vielleicht behalten einige Optimisten recht und die Dynamik der täglichen Ereignisse bringt Nawalny doch noch früher auf Putins Stuhl im Kreml als gedacht.

Bewertung: ***