Stanton Carlisle ist ein Hochstapler, wie er im Buche steht. Beim Zirkus ist der geborene Showman also goldrichtig. Doch sein amoralischer Kompass lotst ihn immer weiter in die dunklen Ecken des gnadenlos kapitalistischen Nachkriegsamerika. Dieser Plot führte schon bei Edmund Gouldings erster Verfilmung des gleichnamigen Romans von William Lindsay Gresham direkt in die düsteren Gassen des Film Noir.

Nun hat sich Guillermo del Toro „Nightmare Alley“ gewidmet. Zusammen mit der Filmkritikerin und Noir-Expertin Kim Morgan, mit der del Toro seit vergangenem Jahr verheiratet ist, schrieb er eine weitaus epischere Version der Geschichte. Der unvermeidliche Unterschied, dem sich die beiden dabei ganz offensiv stellen: Nun ist der Rückblick auf die traumatischen Nachkriegsjahre und die goldene Zeit der harten Noir-Filme fast zwangsläufig von Nostalgie und artifizieller Rekonstruktion geprägt. Das zeigt sich zunächst in der liebevoll gestalteten Schausteller-Parallelwelt, in die der Film seinen Niemand Carlisle (Bradley Cooper) in der ersten Hälfte der Geschichte hineinwirft. Dort fühlt er sich erst einmal wie ein Fisch im Wasser, umgeben von einer prominent besetzten Zirkus-Außenseiter-Truppe: Direktor Clem (Willem Dafoe), Mentalistin Zeena (Toni Collette) und die unschuldige Molly (Rooney Mara, leider ohne viel Spielraum). Dazu Strongman Bruno, verkörpert von del Toros Freund Ron Perlman, der ihn einst auf „Nightmare Alley“ aufmerksam machte. Doch die Tarotkarten verheißen Carlisle nichts Gutes.

Bald schon macht er sich zusammen mit Molly mit einer ausgeklügelten Mentalisten-Show selbstständig. Aber auch als Entertainer im Anzug hat er noch nicht genug und findet in der Psychologin Dr. Lilith Ritter eine verführerische Komplizin für mehr. Der gefährliche Fall des moralisch verkommenen Mannes ist – anders als im Film von 1947 – vor allem selbst verschuldet. Die Femme fatale ist nun älter als er und ihm überlegen. Sie wird von einer brillant-eleganten Cate Blanchett verkörpert.

In der Hauptrolle bleibt Bradley Cooper herrlich durchschaubar als jemand, der seinen eigenen skrupellosen Ambitionen nicht gewachsen ist. Del Toros Film findet seinen ganz eigenen Film-Noir-Look, zunächst mit sepia-getünchten Zirkusfarben, dann in winterlich-kalten Schatten. Die opulenten Bilder vergrößern die zweiteilige Geschichte weit über das Maß des kompakten Vorläufers hinaus, auch wenn es dabei weniger als 150 Minuten getan hätten. Eine stimmige Genre-Zeitreise, die zeitlos großes Kino liefert.