Die Uraufführung von „The Trouble With Being Born“ fand im Februar 2020 auf der Berlinale statt, wo der Film in der Reihe Encounters gleich mit dem Spezialpreis der Jury ausgezeichnet wurde. Nun, eineinhalb Jahre später, kommt der Film endlich auch ins Kino. Was bedeutet das für Sie?
SANDRA WOLLNER: Es ist sehr schön, dass er tatsächlich endlich dort landet, wo er gedacht war, zu landen. Ich habe den Film fürs Kino gemacht. Jetzt kann er dort laufen: auf großer Leinwand und mit großem Sound und mit dem “Zwang der Leinwand”. Der Film erfordert, dass man sich darauf einlässt. Das Überwältigende bietet nur das Kino.

Es ist Ihr zweiter Langfilm und Ihr Abschlussfilm an der Filmakademie Baden-Württemberg, der auf den Festivals u.a. Berlinale, Viennale, Diagonale bereits eine preisgekrönte Reise hinter sich hat. War Ihnen klar, dass da etwas Besonders entsteht?
Nein, wir waren auch bei „Das unmögliche Bild“ letztlich erstaunt. Ich hatte schon das Gefühl gehabt, es sei etwas Besonderes. Man versucht immer, etwas Spezielles zu machen und nicht die Wiederholung der Wiederholung. So etwas reizt mich nicht. Man versucht eher, etwas aufzubrechen und die Fragen, die einem durch den Kopf gehen, aufzuarbeiten. Dass das so passiert, war nicht klar. Mein Freund, mein Kameramann, mein Mann Timm Kröger, der selbst Regisseur ist, war sehr davon überzeugt, dass das passiert. Er hat wahnsinnig an mich geglaubt. Aber es ist sehr schön, dass diesen beiden Filmen - die in ihrer formalen Herangehensweise ja zumindest ungewöhnlich sind - so viel Zuspruch widerfährt. 

Was war der Ausgangspunkt für diese Geschichte über das Androidenmädchen Ellie, das zugleich ein Sexroboter ist. Sie lebt bei Georg, den sie Papa nennt und wurde programmiert, ihn glücklich zu machen.
Das klingt jetzt verkopft, aber nach meinem letzten Film versuchte ich mich an einer Geschichte, die einen Blick auf die Menschen wirft, ohne selbst Mensch zu sein. Das ist mir zunächst nicht geglückt. Irgendwann hat mein Drehbuchautor (Anm. Roderick Warich) im Scherz gesagt, man könnte einen Film in diesem Setting machen, mit einem Androiden, der aussieht wie ein kleines Mädchen.  Das war genau das narrative Gefäß, nachdem ich gesucht habe. Ich habe dann noch einmal alles betrachtet, was ich davor geschrieben habe. Ganz viel davon hat dann seinen Weg in diesen Film gefunden: die Fragen über das Erlebnis von Kindheit, anderseits auch die Erlebniswelt dieser älteren Frau, nach Lust und Erinnerungen.

Der Android wird von Lena Watson verkörpert, welche Anstrengungen waren notwendig, um sie so roboterhaft zu machen?
Sie trägt eine sehr dünne Silikon-Maske, die für jeden Drehtag von unserer Maskenbildnerin Gaby Grünwald und ihrem Team eigens hergestellt wurde. Um das Gefühl der Künstlichkeit noch zu verstärken, haben wir u.a. Blinzler wegretuschiert, die Haut und den Körper des Androiden noch künstlicher gemacht. .Unsere Darstellerin war selbstverstänlich nie mit expliziten Szenen in irgendeiner Weise konfrontiert. Ihren künstlichen Körper, der in nur wenigen Einstellungen ganz zu sehen ist, haben wir in der Postproduktion nachgebaut. Es gibt Szenen die Intimität andeuten, aber beim Drehen selbst waren die in keiner Weise aufgeladen. 

Der Film verhandelt Tabu-Themen. 
Absolut.

War die Aufregung vorprogrammiert?
In Australien gab es einen Skandal: Ich hatte ein Interview mit einer Tageszeitung, es war ein sehr gutes Interview. Dann haben sie den Film zwei forensischen Psychologinnen gezeigt. Eine hat gesagt, das sei alles so schlimm und sie hätte ihn sich nicht fertig anschauen können. Die andere hat es gar nicht erst versucht. Also hat das Festival beschlossen, den Film zurückzuziehen, obwohl sie ihn davor ausgewählt hatten. Es war merkwürdig: Wie kann eine Kultur-Institution die Filmauswahl zwei Expertinnen auf einem anderen Gebiet überlassen. Man hat den Film aus Angst zurückgezogen. Das ist auch Corona geschuldet - weil man zu der Zeit mit dem Festival nicht in die Kinos konnte, die Präsentation nicht kuratieren konnte. Da war die Angst, dass man jemanden triggern würde, der vielleicht Missbrauchsopfer war. Das kann passieren, aber man könnte es in der Synopsis abwägen und andeuten, was passiert. Dass diese Angst jetzt in die Wohnzimmer nach Hause geht – das fand ich verkürzt und übertrieben gedacht. Die Haltung dieses Films ist so eindeutig, und eben ganz eindeutig kein “Plädoyer für Pädophilie” - wie manche unserer lautesten Kritiker den Film charakterisieren wollten, ohne ihn überhaupt gesehen zu haben. Weil ganz ehrlich, wenn die bloße Darstellung von „Gewalt“ Zuspruch für Gewalt bedeuten würde, müssten wir ja u.a. auch das Alte Testament  zensieren. Mein Film erzeugt dagegen vor allem Unbehagen in der Darstellung einer abgründigen “Beziehung” die uns allen - inklusive mir - natürlich ungesund erscheint. Die Aufregung in Australien hat andererseits auch etwas Gutes bewirkt.

Nämlich?
Es gab einen Kommentar eines ehemaligen Festival-Direktors und daraus entwickelte sich eine Stellvertreter-Diskussion über Zensur und dass diese nicht passieren darf, nicht nach all jenen Jahrzehnten, in denen Filmfestivals in Australien auch um politische Unabhängigkeit gekämpft haben. Aber das Alles hat dazu geführt, dass wir in Australien einen Verleih gefunden haben und im Kino gelandet sind. Und er ist dort dann auch erstaunlich gut gelaufen. In Neuseeland übrigens auch. Beides wäre sonst wohl nicht passiert.

Es gibt nicht so viele Filme, die am Thema Pädophilie anstreifen. Wie verliefen die Recherchen?
Es gibt  einen japanischen Puppen-Hersteller, die Bilder seines Angebots haben mich stark beeindruckt, nicht im guten Sinne. Die Puppen sehen wie Vier- bis Vierzehnjährige aus, sind keine Roboter, sehen super realistisch aus und sie sitzen in eindeutigen Positionen da. Es schreckt einen, der offensichtliche Zweck dieser Puppen wird gar nicht wirklich verschleiert, auch wenn im Beschreibungstext behauptet wird, die Puppen seien für etwas Anderes. Sie haben austauschbare Zungen und Geschlechtsteile. Und das ist erschreckend und die einen sagen, es ist zwar abscheulich aber doch nur ein Objekt und die anderen sagen, man müsse das verbieten. Und wenn wir das Objekt als solches einmal beiseite lassen und kurz darüber nachdenken, dass in einer zunehmend virtuelleren Welt, irgendwann alles was wir denken auch erfahrbar sein wird, ist es ja eine spannende Frage wo Zensur beginnt. Und wie wir in Zukunft damit umgehen. 

Wirft Ihr Film einen pessimistischen Blick auf die Welt?
Ich denke nicht, dass es ein grundlegend pessimistischer Blick ist. Aber der Film beschäftigt sich neben der Frage nach Künstlicher Intelligenz und den bereits besprochenen Tabus,  durchaus mit einer vielleicht „GrundEinsamkeit“ des Menschen. Der Mensch als ein Geisterwesen das in seinem eigenen Kosmos gefangen ist. Wir können uns miteiander austauschen und verbinden und das ist ganz wunderbar. Aber im Grunde spüren wir doch, dass wir nie zur Gänze die Welt aus Sicht der Anderen wahrnehmen können, dass wir letztlich immer auf unsere ganz eigenen Sinne zurückgeworfen sind. Wenn wir über einen Baum sprechen, haben wir alle verschiedene Bilder dazu im Kopf. Literatur und Kino sind dann sozusagen ein Annäherungsversuch an andere Perspektiven. 

Sie haben eine sehr ungewöhnliche, eigene Filmsprache. 
Ich weiß nicht ob sie so ungewöhnlich ist. Meine KollegInnen von Funeral Casino zb, eine Gruppe an Leuten, mit denen ich immer wieder zusammenarbeite, suchen etwas Ähnliches in ihren Filme. Etwas, das wir in deutschsprachigen Filmen so nicht sehr oft finden. Wir haben das Gefühl, uns alle interessieren reibungsstärkere, flirrende und “vorsprachliche” Dinge. 

Was meinen Sie damit?
Eine Form von Film, die sich mehr wie ein Traum anfühlt. Eine, die etwas ausprobiert, wagemutig ist und sich nicht nur auf das enge Format verlässt. Im Fernsehen sind es Krimis, die uns auf die immergleiche Weise so Restelemente menschlicher Dunkelheiten erzählen sollen. In Hollywood ist es die Heldenreise, dieser Mythos der Selbstwerdung, und viele erwarten diese Form im Kino, und nur mehr diese Form. Aber ein Film muss nicht so sein. Klar, er fängt irgendwo an, er ist kein Loop, kein Gemälde, keine Ausstellung, sondern ist in Form, Raum und Zeit beschränkt. Aber innerhalb dessen muss es nicht diese logische Narration geben - oder zumindest darf diese Narration aufbrechen, abschweifen, sich auflösen. Die Sprache reicht manchmal nicht aus, um etwas zu benennen. Es ist etwas, das in dir arbeitet. Das kann Kino besser als jede andere Form erzählen. Sprache ist fantastisch, aber ein Film ist massiver, einnehmender, deutlicher. 

Man hört aber, dass Hollywood schon angerufen hat. 
Nach der Berlinale hat mich eine Agentin angerufen. Die rufen halt alle durch, die etwas gewonnen haben. Sie hat mich gefragt, ob ich eine Vertretung brauche und ob ich mir auch vorstellen kann, Studio-Produktionen zu machen. 

Und Ihre Antwort?
Ich habe gesagt, prinzipiell kann ich mir das schon vorstellen, aber ich habe das Gefühl, dass mich jetzt eher interessiert, einen weiteren Film zu machen und an dieser speziellen Form von Sprache zu arbeiten. Erst einmal. Wir werden sehen.