Berlin Alexanderplatz

Bewertung:****

Die Geschichte reimt sich, doch sie wiederholt sich nicht. Ein gewisser Franz Biberkopf taucht 2020 als Francis B. wieder am Berliner Alexanderplatz auf. Dort hatte ihn Alfred Döblin einst auf seine Großstadt-Odyssee geschickt. Regisseur Burhan Qurbani stellt bei der Wiederauferstehung seines Francis B. die Welt auf den Kopf, mit blutrotem Himmel und den Wellen des Mittelmeeres. Ihnen entkommt Francis als einziger und schwört daraufhin, „ein guter und anständiger Mensch“ zu sein – schwierig im babylonischen Berlin der Gegenwart. Rund um Francis/Franz (Welket Bungué) gruppiert sich das großartig besetzte Unterwelt-Ensemble des Romans: die große Liebe Mieze (Jella Haase), die kleine Liebe Eva (Annabelle Mandeng), Unterweltboss Pums (Joachim Król) und Unhold Reinhold (phänomenal unsympathisch: Albrecht Schuch).

Mit stolzen, aber dynamischen 183 Filmminuten, wagen Filmemacher Qurbani und Co-Autor Martin Behnke viel. Den wichtigsten Roman der deutschen Moderne als Flüchtlingsgeschichte zu aktualisieren ist keine Kleinigkeit. Doch Qurbanis „Berlin Alexanderplatz“ ist keine Milieustudie. In dicken Pinselstrichen und satten Farben malt der Film eine dunkle Unterwelt, die weitaus allegorischer denn realistisch ist.
Die bunte Kameraarbeit von Yoshi Heimrath („Die beste aller Welten“) taucht die vielen Nachtszenen in Neonlicht. Sie zeugt vom Kino-Stilwillen, der im krassen Kontrast zu entsättigtem Flüchtlingsgeschichten-Sozialrealismus steht. Dennoch bürgt die Migrationsgeschichte dahinter gewissermaßen für die gewaltvolle Dramatik und holt die Figuren ins Berlin der Gegenwart. Ein zeitgenössisches Leinwand-Epos, das sich nicht nur im deutschen Kinokontext sehen lassen kann.                             Marian Wilhelm

Marie Curie - Elemente des Lebens

Bewertung:***

Sie hat zwei Nobelpreise gewonnen und die Welt verändert: Marie Curie. Die in Warschau geborene Französin war nicht nur eine brillante Vordenkerin, sondern ist bis heute eine Ikone der Frauenbewegung. Zu Beginn ihrer Karriere von der männlichen Wissenschaftswelt belächelt, gelingt ihr mit Unterstützung ihres späteren Mannes Pierre (Sam Riley) der Nachweis radioaktiver Strahlung. Doch wo viel Licht, da auch Schatten: Nach Pierres Unfalltod stürzt sich die Witwe und Mutter ohne Rücksicht auf ihre Gesundheit in ihre wissenschaftliche Arbeit. Zwiespältig wie die von Rosamund Pike („Gone Girl“) überzeugend verkörperte Protagonistin ist auch Marjane Satrapis historisches Biopic. Unschlüssig wabert die Leinwandadaption der Graphic Novel „Radioactive: Marie & Pierre Curie: A Tale of Love and Fallout“ zwischen der wissenschaftlichen Bedeutung von Curies Oeuvre für die Nachwelt und dem Gefühlsleben der Titelheldin.                        Jürgen Belko

Guns Akimbo

Bewertung:***

Die Social Media Welt ist mitunter ein zwischenmenschliches Purgatorium. Das weiß auch der harmlose IT-Nerd Miles. In seiner Freizeit betätigt er sich gern als Agent Provocateur um Internet-Trolle zu ärgern. Doch eines Abends provoziert er die „Skizm Community“, eine Art Fight Club Live-Übertragung bei nur ein Kämpfer überlebt. Am nächsten Morgen sind zwei Pistolen an seinen Händen fixiert und er ist unfreiwilliger Teilnehmer der tödlichen Show. Wenn er auf der Flucht vor der psychopathischen Nix (Samara Weaving) am Leben bleiben will, muss er schnellstens vom Loser zum Kämpfer werden. Jason Lei Howden inszeniert mit „Guns Akimbo“ eine wahnwitzige Internet-Satire und überdrehte Action-Komödie, die besser funktioniert als erwartet. Das liegt nicht zuletzt an Ex-Harry-Potter Daniel Radcliffe, der sich nach „Swiss Army Man“ erneut gekonnt zum Trottel macht. Völlig übertriebener, aber gerade deshalb kurzweilig-stylischer Spaß.                                                            Marian Wilhelm

Eine größere Welt

Bewertung:***

Tontechnikerin Corine reist für eine Reportage in eine abgelegene Steppenregion in der Mongolei. Als sie an einem schamanischen Ritual teilnimmt, wird der berufliche Kurztrip zu einer inneren Reise: Die unglückliche Neo-Witwe fällt während der Zeremonie in Trance und entdeckt ihre spirituelle Gabe. Zurück in Frankreich lässt sie das Erlebnis nicht mehr los. Trotz Widerständen kehrt sie in die Mongolei zurück und beginnt eine schamanische Ausbildung, die ihr hilft, den Schmerz über den Verlust ihres Mannes zu überwinden. Fabienne Berthaud („Barfuß auf Nacktschnecken“) beweist, dass das wahre Leben die unglaublichsten Geschichten schreibt. Facettenreich bringt sie Corine Sombruns außergewöhnliche Lebensgeschichte auf die Leinwand. Mit Shooting-Star Cécile de France hat sie auch die passende Protagonistin gefunden. Neben dem tollen (Laien-)Ensemble punktet das True-Story-Drama mit schönen Landschaftsaufnahmen.    Jürgen Belko

Unhinged

Bewertung:**

Wie jeden Morgen steckt Alleinerzieherin Rachel (Caren Pistorius) mit ihrem Auto im Berufsverkehr fest. Dass sie unter enormen Zeitdruck steht, macht die Situation nicht entspannter. Als ein Fahrer die grün werdende Ampel ignoriert, platzt ihr der Kragen und sie wagt ein riskantes Überholmanöver. Was sie nicht weiß: In dem Pick-up-Truck sitzt ein Psychopath, der sich für sein verpfuschtes Leben an der ganzen Welt rächen möchte. Regisseur Derrick Borte („The Joneses“) greift in seinem benzinhältigen Terror-Thriller das „Falling Down“-Motiv von Joel Schumachers gleichnamigen 90er-Jahre-Blockbuster auf. Im Gegensatz zu Michael Douglas muss sich Hauptdarsteller Russell Crowe aber erst gar nicht mit dem Psychogramm seines Alter Egos herumschlagen. Er kann ohne Rücksicht auf jegliche (Drehbuch-)Logik in die Rolle eines Brutalo-Stalkers schlüpfen, der mit seinen Opfern ein mörderisches Katz-und-Maus-Spiel treibt.                  Jürgen Belko

Guest of Honour

Bewertung:**

Jim, im Brotberuf Lebensmittelkontrolleur, will den Ereignissen auf die Spur kommen, die seine erwachsene Tochter ins Gefängnis brachten. Sie soll als Musiklehrerin einen Schüler sexuell belästigt haben. Obwohl sie unschuldig ist, will sie sich für etwas anderes bestrafen. Auf mehreren Zeitebenen erzählt, ist dieses Rätsel aus der Familienvergangenheit die seltsame, etwas schwache Triebfeder von „Guest of Honour“. Atom Egoyan, das kanadische Wunderkind der 90er mit Filmen wie „Exotica“ und „The Sweet Hereafter“, versucht sich mit einem verwirrend ziellosen Film an einem Comeback. Bereits in der dunklen Detektivgeschichte „Where the Truth Lies“ spielte er mit dem Rückblick auf fatale Begierde, Schuld und Erpressung. „Guest of Honour“ ist eine seltsame, ungleich leichtere Variante davon, mit einem großartigen David Thewlis in der Hauptrolle. Melancholisch-mysteriös und aufwändig verknotet, aber nicht tödlich.                     Marian Wilhelm