Fast 50 Jahre hat es gedauert, bis diese Bilder das Licht der Welt erblickten: 1972 hat Soulsängerin Aretha Franklin in einer Kirche in Los Angeles ihre Gospelplatte "Amazing Grace" eingespielt - an zwei Abenden vor Publikum. Die Sessions wurden zwar mitgefilmt, das Material landete aber in der Versenkung. Bis jetzt: Nach langer Wartezeit ist der Film nun bei der Viennale zu sehen.

Dabei war es eine schwere Geburt. Produzent Alan Elliott erwarb vor mehr als zehn Jahren die Aufnahmen und machte sich an die Bearbeitung, wobei sich die Synchronisierung von Bild und Ton als größte Herausforderung erweisen sollte. Dass es nochmals Jahre dauern sollte, lag nicht zuletzt an der Hauptprotagonistin: Franklin wehrte sich gegen die Veröffentlichung und klagte Elliott mehrfach, als dieser den Film bei Festivals zeigen wollte. Erst nach dem Tod der Sängerin einigte sich deren Familie mit dem Produzenten, und "Amazing Grace" feierte schließlich im Dezember 2018 Premiere.

Aretha am Höhepunkt

Ursprünglich war Regisseur Sydney Pollack mit dem Projekt vertraut, wobei der spätere Oscar-Preisträger ("Jenseits von Afrika") nun auch selbst im Bild ist: Gerade die Eingangssequenz ist im Stile eines Making-of gehalten, zeigt den Filmemacher im Gespräch mit seinem Team aus Kameraleuten, die auch in den weiteren knapp 90 Minuten immer wieder durchs Geschehen huschen. Eine Hochglanzproduktion ist "Amazing Grace" nicht, der Film zeigt vielmehr eine Aretha Franklin am Höhepunkt ihrer Karriere - immerhin sollte das Album ihr erfolgreichstes werden.

Als Person unnahbar

Begleitet wurde die damals 29-Jährige von Reverend James Cleveland, der auch den Zeremonienmeister gab und das Publikum im Saal anheizte ("Wenn die Kamera kommt, legen Sie sich ins Zeug!"), sowie dem Southern California Community Choir unter Alexander Hamilton. Franklin selbst ist das Gravitationszentrum, macht sich Stücke wie "How I Got Over" oder den Titelsong zu eigen, bleibt aber als Person unnahbar. Nur wenige Worte kommen ihr selbst über die Lippen, das Sprechen übernehmen an diesen beiden Abenden andere. So ungewöhnlich das scheinen mag, geht es auch mit der Gestaltung des Films selbst Hand in Hand - ungewohnte Blickwinkel und eine körnige Qualität erwecken nicht von ungefähr das Gefühl einer vergangenen Dekade.

Solide Musikdoku

Am besten funktioniert "Amazing Grace", wenn die Musiker ganz nah herangeholt werden. Da werden Augen geschlossen und Hände in die Höhe gerissen, geraten einzelne Chormitglieder ob Franklins Leistungen schier in Ekstase und erhalten die Aufnahmen einer vereinfacht bezeichnet Popplatte einen beinahe erlösenden Charakter. Auch Franklins Vater, Reverend C.L. Franklin, ist anwesend und spricht zu den Leuten, lobt seine Tochter und ihre Stimme über den grünen Klee.

Man muss ihm zustimmen: Dieser Film fängt eine zusätzliche Dimension dessen ein, was man bisher als Tonträger bejubeln durfte. Eine große Überraschung oder gar einen Skandal ob Franklins Ablehnung der Veröffentlichung sollte man sich nicht erwarten. Eine solide Musikdoku über ein großartiges Album aber schon.