Lange Zeit schien sie auf die Lebensrolle von „America's Sweetheart“ festgelegt, darauf, den Liebling des Landes zu spielen, die Verkörperung der freundlichen Frau von nebenan und all dessen, was amerikanische Weiblichkeit zu bieten haben sollte: die Warmherzigkeit von Dorothy in „Jerry Maguire“, den Humor von „Bridget Jones“, die Erotik von Roxie in „Chicago“ die Widerstandskraft von Ruby in „Unterwegs nach Cold Mountain“.

Mitte des letzten Jahrzehnts zählte Reneé Zellweger, mit geschätzten Gagen von zehn bis 15 Millionen Dollar pro Film, zu den bestverdienenden Schauspielerinnen Hollywoods. Dann wurde es plötzlich still um sie. Zwischen 2010 und 2016 drehte die gebürtige Texanerin keinen einzigen Film. Sie sei völlig überarbeitet gewesen und habe ihre eigene Stimme „schon nicht mehr hören können“, sagte sie danach in einem Interview. Und dass sie etwas Zeit für sich gebraucht habe, „zum Erwachsenwerden“.

Einer mäßig wohlmeinenden Öffentlichkeit fiel damals aber allem auf, dass Zellwegers perfekte Porzellanpüppchenzüge nach jahrelanger Abwesenheit zwar keinerlei Altersspuren aufwiesen, aber doch deutlich verändert schienen. Dass Hollywoodschönheiten mit fortschreitendem Alter Gefahr laufen, von der Traumfabrik recht unzeremoniell aussortiert zu werden und dagegen chirurgische Unterstützung in Anspruch nehmen: eine alte Geschichte.

Eine neue Geschichte gibt es aber auch: Sie erzählt davon, dass Frauen um die 50 (Zellweger feierte diesen runden Geburtstag Ende April) mittlerweile in einem konkurrierenden Medium Arbeit und Aufmerksamkeit finden: Nach Altersgenossinnen wie Julia Roberts, die in „Homecoming“ einer Leerstelle in der eigenen Vergangenheit auf die Spur kommt, Nicole Kidman, die in „Big Little Lies“ nun schon zwei Staffeln lang eine Oberschichts-Hausfrau mit dunklen Geheimnissen spielt, und Laura Linney, die in „Tales of the City“ das queere San Francisco erforscht, ist Zellweger nun in der Streaming-Seifenoper „What/If“ zu sehen. Und wie!

Aus „America's Sweetheart“ ist in der Serie ein eiskalter Racheengel geworden. In einer gender-gedrehten Variante des 90er-Kino-Blockbusters "Ein unmoralisches Angebot" (damals mit Robert Redford, Demi Morre und Woody Harrelson) bietet sie einer vom Bankrott bedrohten jungen Biotechnikerin 80 Millionen Dollar für eine Nacht mit deren Ehemann. Und dann wird es richtig duster in der Netflix-Serie, die auch bei uns bereits online ist. Gespickt mit klassischen Seifenoper-Elementen erkundet die Serie, was passiert, wenn anständige Leute beginnen, unanständige Dinge zu tun. Nur so viel: Unfassbares.

Manche Kritiker fanden zwar, die Zellweger habe sich eine bessere Rolle verdient. Andere wieder waren der Meinung, die vielseitige Schauspielerin habe sich die Figur á la "Bridget Jones' böse Schwester"  mit tollem Gusto angeeignet: "What/If" sei zwar durch und durch mittelmäßig, "aber Mann, macht das Spaß, ihr beim Auseinandernehmen ihrer Szenen zuzuschauen", so fasste es etwa die Kritikplattform Rotten Tomatoes zusammen.

Wie auch immer: Demnächst gibt es die Mimin wieder in einer traditionelleren Rolle - und in einem traditionelleren Medium: in Rupert Goolds Filmbiografie "Judy" spielt die Oscar-Preisträgerin (für "Unterwegs nach Cold Mountain") die unglückliche Entertainerin Judy Garland. Der Film kommt im September in die Kinos.