Sommer, Sonne, Rummelplatz. „Find Yourself“ steht auf einem Schild, das in einem Spiegelkabinett an der Küste von Santa Cruz hängt. Die kleine Adelaide wird magisch davon angezogen. Als sie eintritt, geht das Licht aus. Und das unbedarfte Mädchen begegnet, wir befinden uns in einem Horrorfilm, dem Grauen – also sich selbst. Das ist der traumatische Ausgangspunkt von Jordan Peeles („Get Out“) intensivem Horror-Thriller „Wir“, der seit Freitag in den Kinos zu sehen ist. Er konfrontiert darin die erwachsene Adelaide (Lupita Nyong’o), ihren Mann Gabe (Winston Duke) und ihre Kinder mit den Abgründen und Ängsten der eigenen Existenz, indem er ihnen – und den Rest-USA – mordlüsterne und rachesinnige Doppelgänger in dunkelroten Anzügen, bewaffnet mit Scheren, gegenüberstellt. Auf die Frage, wer sie sind, antworten sie: „Wir sind Amerikaner.“

Wir treffen Oscarpreisträgerin Lupita Nyong’o („12 Years a Slave“) und ihren Kollegen Winston Duke („Avengers“) zu einem Interview im Berliner Soho House. Die beiden teilen viele Aspekte ihrer Biografie: Sie kennen sich von ihrem Studium in Yale und wirkten gemeinsam im Superheldenhit „Black Panther“ mit, in dem Marvel erstmals einen farbigen Helden in einer Hauptrolle ins Abenteuer schickt. Beide verkörpern das junge, talentierte, diverse Hollywood, das so vor der Debatte um #OscarsSoWhite noch nicht selbstverständlich war.

„Ich bin kein Vertreter der Mehrheit. Ich bin Diversität und Politik – und das ist ganz natürlich und das ist ein Teil von mir“, sagt Nyong’o. Die Notwendigkeit von mehr Inklusion und Diversität in der Branche liege auf der Hand. Weil „ich und alle anderen davon profitieren“. Das Erfrischende an diesem Film, der auf Englisch den Titel „Us“ trägt: Peele seziert den Vielfaltsgedanken als ein Faktum, holt schwarze Identitätskonzepte und die Geschichte der Sklaverei dämonisch ins Horrorgenre und hält den Zuschauern dabei individuell den Spiegel vor – unabhängig von Herkunft, Hautfarbe und Klassenzugehörigkeit.

Regisseur Jordan Peele, Lupita Nyong'o und Winston Duke
Regisseur Jordan Peele, Lupita Nyong'o und Winston Duke © APA/AFP/JOHANNES EISELE (JOHANNES EISELE)

Angesiedelt ist der Familienalbtraum im Jahr 1986. Wie erklärte Jordan Peele seinen Darstellern diese Ära? „Er erlebte diese Zeit als eine widersprüchliche, eine Zeit der Extreme“, sagt Nyong’o. Auf der einen Seite gab es Michael Jackson, „We Are the World“, und immensen Reichtum, ein Land wurde aufgebaut. Und andererseits zeugten gut gemeinte, aber missglückte Benefizaktionen wie „Hands across America“ davon, dass es unter der Oberfläche längst brodelte und sich die Spaltung, mit der die Welt heute konfrontiert ist, schon ankündigte. Zudem war es eine Zeit, in der der Filmemacher seine Vorstellungskraft mit Horrorfilmen nährte. „Und: Unsere Fantasie ist besonders üppig zu dieser Zeit als Kind.“

Um seine Darsteller an dieser, seiner, angstdurchzogenen Welt ästhetisch und humortechnisch teilhaben zu lassen, gab er ihnen eine Liste an Horrorfilmen zur Inspiration mit auf den Weg: Winston Duke knöpfte sich Stanley Kubricks „Shining“ vor. „Das führte mir vor Augen, wie eine Familie sein kann und wie sie in dieser Welt funktionieren kann.“
Die Vorbereitung auf die Doppelgängerrolle sei die „größte Herausforderung ihrer Karriere“ gewesen, erzählt Nyong’o. Denn: „Diese zwei Frauen sehen die Welt genau konträr. Sie sind wie die zwei Seiten eines sehr intensiven und langen Arguments. Hier hatte ich das Gefühl, ich muss gleichsam Erzieherin und Richterin sein.“ Gedreht wurde gleichzeitig. „Es war körperlich extrem herausfordernd.“ Für ihre Rolle als Doppelgängerin gab ihr Peele folgenden Satz mit auf den Weg: „Du bist sowohl Königin als auch Kakerlake.“

Und diesen Ansatz hat die 36-Jährige in ihrer Sprache und in ihren Bewegungen in mathematischer Präzisionsarbeit perfektioniert. „Als Schauspielerin bin ich extrem gewachsen, es hat mir gezeigt, dass ich meinen eigenen Instrumenten vertrauen kann.“