Ein ganz wichtiger und gewichtiger Film: „#Female Pleasure“ von Barbara Miller läuft jetzt auch in den österreichischen Kinos. Die Regisseurin begleitet darin fünf mutige, starke und kluge Frauen aus den fünf Weltreligionen und zeigt ihren engagierten Kampf für weibliche Sexualität. Gezeigt werden natürlich auch all die fürchterlichen Tatsachen – wie Beschneidung, Massenvergewaltigungen, sexuelle Diskriminierung –, denen Frauen noch heute ausgesetzt sind.

Der Titel bezieht sich wohl nicht wirklich auf „pleasure“, also Vergnügen, sondern ist provokant gemeint?
BARBARA MILLER: Da müssen Sie das Hashtag am Beginn gut beachten, also das Doppelkreuz. Das deutet nämlich an, was ich wirklich meine, nämlich das R e c h t auf „female pleasure“. Ich habe Philosophie und Psychologie studiert und mich in vielen Ländern über das Thema, wie es den Frauen dort geht, unterhalten. Vor allem in ihrem intimsten Bereich, der Sexualität. Zum Beispiel in Indien.

Für diese Weltgegend haben Sie Vithika Yadav als Film-Gefährtin gewonnen, die aus einer traditionellen hinduistischen Familie in Rajasthan, Nordindien, stammt.
BARBARA MILLER: Indien nennt sich die größte Demokratie der Welt, gilt als spirituelles Land und ist außerdem das Land des Kamasutras. Dennoch lernte Vithika von klein auf, dass man sich als Frau nie allein auf die Straße wagen und keinem Mann in die Augen schauen darf. Gerade in letzter Zeit haben wir zahlreiche Berichte über Vergewaltigungen in Indien gelesen. Sexuelle Übergriffe und Belästigung werden von den dortigen Männern verniedlicht und als „Eve teasing – Eva hänseln“ bezeichnet.

Warum ist das so?
BARBARA MILLER: Keine Aufklärung in den Schulen, keine Gespräche über Sexualität. Bei den Männern dominieren wohl Angst und Leistungsdruck und die meisten Frauen trauen sich nicht zu sagen, was sie möchten.

Mangelnde Kommunikation also und damit verbundene Verklemmtheit?
BARBARA MILLER: Ja, denn wenn offene Kommunikation herrschen würde, hätten wir in aller Welt wundervolle Sexualität. Aber leider wird den Frauen seit Jahrtausenden gesagt: Dein Körper ist etwas Schlechtes, dein Körper ist schuldig und sündhaft! Frauen haben Angst, dass sie gewissen Ansprüchen genügen müssen und ihnen nicht genügen könnten. Zum allgemeinen Bild gehört auch Eva, die Sünderin, durch die das Böse in die Welt gekommen ist. Doch was hat sie wirklich angestellt? Sie hat Adam zum Baum der Erkenntnis geführt. Das heißt, sie hat ihn dem Wissen nähergebracht.

Da hätten wir auch Doris Wagner aus Bayern.
BARBARA MILLER: Aufgewachsen in einer strenggläubigen protestantisch-katholischen Familie. Mit 19 Jahren trat sie in ein Ordenskloster ein, erlebte dort sexuellen Missbrauch und kämpft seither gegen kirchliche Doppelmoral und sexuelle Übergriffe, setzt sich heute vehement für die Opfer ein. Sie glaubt an Gott, aber er hat ihr nicht geholfen, und die katholische Kirche als Institution hat für sie die Glaubwürdigkeit verloren. Die Schriften sind für sie nicht das Wort Gottes, sondern jenes der Männer, die sie geschrieben haben.

Doris Wagner aus Bayern
Doris Wagner aus Bayern © Filmladen


Eines der schlimmsten Verbrechen ist wohl die Beschneidung der Frauen im fundamentalistischen Islam?
BARBARA MILLER: Und das, obwohl der Koran diese Praxis gar nicht kennt. Meine Protagonistin ist in diesem Fall Leyla Hussein, die als Tochter einer strenggläubigen muslimischen Familie als Siebenjährige beschnitten wurde. Heute kämpft sie, auch vor der UNO, als Psychotherapeutin und Aktivistin gegen weibliche Genitalverstümmelung. In Somalia gibt es zum Beispiel laut Statistik zu 97 Prozent Totalverstümmelung.

Schwere Körperverletzung, also effektiv ein Verbrechen – wo liegen die Ursachen?
BARBARA MILLER: Diese „Tradition“ ist spezifisch darauf angelegt, dass Frauen eben keine Lust empfinden dürfen, ihnen wird eingeredet, dass Sex schmerzhaft ist. Beschneidung, Verstümmelung schaffen ja nicht nur physische, sondern letztendlich auch psychische Wunden und Schmerzen. Leider zieht sich so was durch alle Weltreligionen. Auch viele heutige Internet-Pornos folgen ja einem solchen Mainstream, zeigen die Frau als nicht bestimmendes sexuelles Wesen.

Leyla Hussein aus Somalia
Leyla Hussein aus Somalia © Filmladen



Und all das im Jahr 2018.
BARBARA MILLER: Ja, es ist erstaunlich, dass wir noch nicht weiter sind. Es geht unglaublich langsam. Umso wichtiger ist, dass es Frauen und Männer gibt, die das Schweigen brechen und das Thema Sexualität in den Mittelpunkt stellen. In diesem Sinne hat Vithika Yadav zuletzt viel erreicht. Ihre indische Sexualaufklärungsplattform hat Millionen von Nutzern und Followern, Gott sei Dank auch einen hohen Prozentsatz an Männern. Und Leyla versucht bei den Massai, die Männer zu sensibilisieren. Ihnen verständlich zu machen, dass sie, wenn ihre Partnerin keine Freude am Sex empfindet, ja selbst auch keine Freude empfinden können. Leyla hat schon sehr viel erreicht.

Zu den fünf Frauen in Ihrem Film gehören auch Deborah Feldman aus einer ultraorthodoxen jüdischen Familie in New York, die erst unmittelbar vor ihrer Hochzeit erstmals von einem Leben mit Sex und ihren Pflichten als Ehefrau erfahren hat. Sie hat mit ihrem Sohn die Gemeinschaft verlassen. Und die Japanerin Rokudenashiko aus einem traditionell buddhistisch-schintoistischen Elternhaus wurde nach ihren Vagina-Performances, mit denen sie gegen die Verteufelung der weiblichen Lust in Japan kämpft, verhaftet und angeklagt. Ihr drohen zwei Jahre Haft. Wie kann man all das wirklich ändern? Was halten Sie von der Komödie „Der Raub der Sabinerinnen“, in der die Frauen erfolgreich streiken? Eine Möglichkeit?
BARBARA MILLER: (Lacht): An sich eine Superidee. Würde Dialog und Kommunikation anregen. Würde man das weltweit machen, könnte man, denke ich, vieles erreichen.

Was soll zumindest Ihr Film erreichen?
BARBARA MILLER: Grundsätzlich geht es nur mit Beteiligung und unter Einbindung der Männer. Sie müssten mit den Frauen besser kommunizieren, sich öffnen und damit Ängste und Druck abbauen. Das wäre ein unglaublicher Fortschritt für die Frauen. Und die Männer.