Die neueste Arbeit ihrer Landsfrau als Auftakt der Viennale am 25. Oktober zu wählen, dürfte sich für Eva Sangiorgi als Glücksgriff herausstellen: Die Geschichte über den naiv-gutmütigen Bauernbuben Lazzaro, der auf einer abgeschiedenen Tabakplantage der Härte des Lebens seinen unbeirrbaren Frohsinn entgegenhält, brachte Rohrwacher heuer in Cannes völlig zurecht den Drehbuchpreis ein. Diesem aus der Zeit gefallenen Film steht mit "El Angel" ein völlig konträrer Abschluss des Festivals gegenüber, hat sich Luis Ortega doch dem Serienkiller Carlos Robledo Puch angenommen.

Regie-Stars zeigen ihre neuen Filme

In den Tagen dazwischen folgt ein großer Name auf den anderen: Oscarpreisträger Damien Chazelle schickt Hollywood-Beau Ryan Gosling auf den Mond ("First Man"),  Alfonso Cuaron ist mit seinem aktuellen Venedig-Gewinner "Roma" vertreten und  Lars von Trier geht es in "The House That Jack Built" äußerst blutig an. Groß sind die Erwartungen auch an "The Favourite" über Intrigen am Hof der britischen Queen Anne vom griechischen Kapazunder Yorgos Lanthimos sowie die Sci-Fi-Parabel "High Life", der ersten englischsprachigen Arbeit von Claire Denis. Leichterer Kost hat sich ihr Landsmann Olivier Assayas in "Doubles vies" angenommen, eine Komödie zwischen Büchern und Social Media.

Als Regisseure machen zwei Schauspielstars von sich reden: Paul Dano nimmt sich mit seinem Debüt "Wildlife" in bedächtiger Manier eines Romans von Richard Ford an, während sich Ethan Hawke auf die Spuren von Countrymusiker Blaze Foley begibt ("Blaze"). Einen ordentlichen Sound sollte auch "Her Smell" von Indie-Darling Alex Ross Perry mitbringen, darf hier doch Elizabeth Moss nach Lust und Laune im Punkexzess aufgehen. Und bei "Leto" des in Russland unter Hausarrest stehenden Regisseurs Kirill Serebrennikow taucht man ein in die Rockszene von Leningrad der 1980er.

Serberenikow  ist beileibe nicht der einzige, der sich in seinem Heimatland Repressalien ausgesetzt sieht. Jafar Panahi darf den Iran seit Jahren nicht verlassen, wurde mit einem Berufsverbot belegt - und gibt dennoch nicht klein bei. Sein heuer in Cannes prämiertes Werk "Se rokh" gefällt sich als minimalistisches Roadmovie mit großer Wirkung. Was sich wohl auch von Lav Diaz' "Ang panahon ng halimaw" sagen lässt, legt der philippinische Filmemacher, der auch den diesjährigen Viennale-Trailer gestaltet hat, damit doch ein vierstündiges Musical über den Schrecken einer Terror-Miliz vor. Hier Diaz' Trailer:

Die Themen des Philippiners sind jenen von Altmeister Jean-Luc Godard in dessen "Le Livre d'image" nicht unähnlich, ist dessen Montage doch ebenfalls geprägt von Krieg, Gewalt und Leid. Im tänzerisch geprägten Überwältigungskino findet sich wieder, wer bei Gaspar Noé oder Luca Guadagnino zuschlägt: Während der Argentinier in "Climax" eine Tanzkompanie in einen stetig mäandernden Rausch entlässt, hat sich der italienische Oscarpreisträger einem Klassiker des Horrorkinos angenommen und Dario Argentos "Suspiria" in neue Bilder gekleidet, wobei der Film nur entfernt an das Original angelehnt ist und sich mehr als - durchaus gelungene - Hommage versteht. Ein humorvoller Drogentrip durch die Filmgeschichte wird von David Robert Mitchell in "Under The Silver Lake" serviert, in dem der US-Regisseur seinen Antihelden in kruden Verschwörungstheorien baden lässt.

Auch Preisgekröntes aus Locarno lässt sich sehen: "A Land Imagined" von Yeo Siew Hua, in der Schweiz mit dem Hauptpreis bedacht, ist ein vielschichtiger Krimi um eine Großbaustelle in Singapur, und "Alice T." von Radu Muntean präsentiert sich als rumänisches Coming-of-Age-Drama um eine rebellische 17-Jährige, für deren Darstellung Andra Guti als beste Schauspielerin prämiert wurde. Ebenfalls aus Rumänien stammen der äußerst experimentelle und auf explizite Körperlichkeit setzende Berlinale-Gewinner "Touch Me Not" von Adina Pintilie sowie Radu Judes "Imi este indiferent daca in istorie vom intra ca barbari", der in Karlsbad reüssierte.

Österreichischer Film über den Sklaven Soliman

Aus heimischer Sicht fiebert man allen voran Markus Schleinzers zweitem Spielfilm "Angelo" entgegen: In dem Historiendrama erzählt der Wiener die Geschichte von Angelo Soliman, der als Kindersklave nach Europa kam und zum legendenumwobenen "Hofmohren" wurde. Ein philosophisch angehauchtes Essay, in dem Schleinzer immer wieder mit der etablierten Struktur bricht. Hart im Nehmen muss man für "Joy" von Sudabeh Mortezai sein, ein Film über Zwangsprostitution in Wien. In Venedig wurde die Filmemacherin dafür mit zwei Preisen bedacht. Und natürlich ist auch der im Vorjahr verstorbene Viennale-Langzeitdirektor Hans Hurch präsent: Gaston Solnicki erinnert mit "Introduzione all'oscuro" an seinen Freund.