Ihre allererste Doku ist mehr als nur eine Verbeugung vor einem Jahrhundertregisseur. Es gibt auch sehr persönliche Gründe. Sie leiten den Film an einer Küste ein. Steine, Meer, düsterer Himmel, ein schwarzer Vogel?
MARGARETHE VON TROTTA: Genau an dieser Stelle saß damals Max von Sydow als Ritter in „Das siebente Siegel“. Und dort tauchte plötzlich eine schwarze Gestalt auf. Der Tod.

Welche besondere Bedeutung hat diese Szene für Sie?
TROTTA: „Das siebente Sigel“ war der Grund, warum ich Filmregisseurin wurde. Im Jänner 1960 ging ich nach Paris, weil ich in Deutschland am Ersticken war.

 Warum am Ersticken?
TROTTA: Wegen der Atmosphäre in den fünfziger Jahren. Wir jungen Leute spürten, dass in der Vergangenheit Schreckliches passiert sein musste, doch das wurde nirgendwo unterrichtet. Ich inskribierte an der Sorbonne, studierte französische Literatur und Kunstgeschichte. Ich wusste aber nicht so recht, warum. Denn Lehrerin hätte ich nie werden wollen. An den Tag meiner Ankunft im Jänner in Paris kann ich mich noch genau erinnern: Grauer Himmel, regnerisch, kalt. Ingmar Bergman hätte es gefallen. Ich fand bald Freunde, und in vielen Gesprächen versicherten sie mir, Film sei das Medium, das alle Kunstarten ideal in sich vereinen würde. Sie zerrten mich faktisch ins Kino. Ich sah „Das siebente Siegel“, und da erwachte in mir der Wunsch, so was auch einmal machen zu können. In der Folge sah ich noch andere Bergman-Filme, und ich saß öfter im Kino als in der Sorbonne.

Gab es Zeichen, dass Ihr Wunsch in Erfüllung gehen könnte?
TROTTA: Meine Freunde, die Kinofans, trieben bei ihren Familien und Freunden Geld auf, und so entstand der Film „Mort de la mort“. Der Titel basierte auf der letzten Zeile eines Shakespeare-Sonetts. Ich durfte mitmachen. Wir drehten auf 35-Millimeter-Material, es wurde ein Eineinhalb-Stunden-Film, der aber nie in die Kinos kam, weil wir keinen Verleih fanden. Doch ich konnte viel lernen. Zu jener Zeit dachte ich ein bisschen an eine Karriere als Schauspielerin, aber der Hintergedanke, Regie zu führen, war immer da.

 Und der ging ja auch in Erfüllung. Noch mehr. Der große Ingmar Bergman hegte später seinerseits große Wertschätzung für Sie? Wie kam das?
TROTTA: Beim Festival in Göteborg wurde er einmal gebeten, eine Liste mit Filmen aufzustellen, die ihn beeindruckt und beeinflusst hätten. Auf dieser Liste fanden sich schließlich elf Titel mit Namen wie Federico Fellini, Akira Kurosawa, Charlie Chaplin. Und ich mit „Die bleierne Zeit“. Ich war die einzige Frau, die einzige Deutsche und die Jüngste. Alle anderen sind inzwischen tot. Darauf war und bin ich natürlich sehr stolz.

Einmal, als er in München lebte, hat er Sie und Ihren damaligen Mann Volker Schlöndorff besucht?
TROTTA: Vorausschicken muss man, dass er 1976 Schweden wegen einer Steueraffäre verlassen hat. Durch diese Steuergeschichte fühlte er sich „öffentlich und unberechtigt in seiner Ehre gekränkt“. Er ging nach Los Angeles. Offensichtlich nicht die richtige Entscheidung, denn nachher klagte er, er habe es nicht ausgehalten, hätte sich dort, in diesem Durcheinander, ganz schrecklich gefühlt. So übersiedelte er nach München.

 Wie kam es zum Besuch bei Ihnen?
TROTTA: So genau weiß ich das nicht, ich hatte nicht einmal Zeit, etwas zu essen vorzubreiten. Sein Vorwand für diesen Besuch war, dass er Volker einen Gösta-Berling-Film vorschlug, weil er selbst nicht nach Schweden zurück wollte. Doch Volker hatte keine Lust. Besonders in Erinnerung geblieben ist mir, dass Bergman mehr als eine Stunde blieb und die ganze Zeit über unsere Hände gehalten hat. Das hat er wohl oft gemacht, zum Beispiel, wenn er seinen Schauspielern etwas erklärt hat.

 Warum waren ihm körperliche Kontakte so wichtig?
TROTTA: Vielleicht, weil er von Dämonen geplagt war. Er hat Gaby Dohm bei den Dreharbeiten zum „Schlangenei“ davon erzählt. Davon, dass sie ihn zu nächtlicher Stunde immer wieder heimsuchten und er oft ab drei Uhr früh nicht mehr schlafen konnte. „Nachts“, hat er zu Gaby gesagt, „kommt die Stunde der Wölfe“. Man hat ihm einmal, unter der Vermutung, dass er innerlich noch immer ein Kind sei, auch eine Therapie angeboten. Die hat er abgelehnt. Erstens, weil er sich als Erwachsener fühlte, zweitens, weil er Angst hatte, dadurch seine Kreativität zu verlieren. Hin und wieder hat er über die Dämonen auch gescherzt, einmal soll er einige von ihnen auf einem Zettel beschrieben haben, auf recht banale Art. Eine Manie war gewiss auch seine zwangshafte Pünktlichkeit. Er hat niemandem zugestanden, auch nur eine Minute zu spät zu kommen.

Vielleicht war der Grund für die Ängste vor Dämonen auch die Einsamkeit, die er eigenen Angaben nach immer fühlte. Diese Einsamkeit sei der Grund gewesen, warum er ins Filmmachen geflüchtet sei. Bei seinen Schauspielern fühlte er sich jedenfalls immer wohl – und geschützt?
TROTTA: Letztendlich bekannte er aber, dass jedes Gefühl einer Zusammengehörigkeit Illusion ist.

Familienmensch war er nicht ...
TROTTA: Er hat neun Kinder gehabt. Zu seinem 60. Geburtstag versammelte er sie alle und ihre Mütter um sich. Manche der Kinder lernten dabei einander erst kennen. Auch bei dieser Gelegenheit schwärmte er von seinen Schauspielern und erklärte, er würde sie vermissen. Da platzte es aus Linn, seiner Tochter mit Liv Ullmann, heraus: „Warum sagst du das nicht auch über deine Kinder und Enkelkinder?“ Er antwortete trocken: „Weil es nicht so ist.“ Aber ich habe das Gefühl, dass er am Ende doch erkannte, dass er sie sehr vernachlässigt hatte.

Sohn Daniel Bergman sagt, dass der Vater Gefühle nicht ausstehen konnte. War er wirklich so unnahbar, wie ihn viel Menschen sahen?
TROTTA: Auch das kann man nicht so einfach beantworten. Ritte Russek etwa, die er für seinen Film „Das Leben der Marionetten“ engagiert hatte, in dem sie sich dauernd nackt zeigen musste, hat ihn wahnsinnig gern gehabt. Ihre Aussage: „Ich habe nie das Gefühl gehabt, dass er unnahbar war. Im Gegenteil: Ich habe mir oft gedacht, dass er eigentlich ein armes Schwein ist“.

 Kann es Ihrer Meinung nach sein, dass Bergman, der als Womanizer galt, der so viele Affären hatte und in seinen Filmen so tolle Frauenrollen schuf – man sagt übrigens, die Figur, die er für Liv Ullmann in „Persona“ erfand, sei eigentlich er selbst gewesen –, im Grund Angst vor Frauen hatte?
TROTTA: Das glaube ich nicht. Auf Grund eines speziellen Erlebnisses. Wir waren einmal gemeinsam in einer Jury, nachher war ein Empfang angesagt. Er wollte, dass wir gemeinsam hingingen. Ich hingegen wollte nicht, weil ich meine Tage und starke Schmerzen hatte. Er dachte, ich wollte mich drücken, und wurde richtig wütend. Da erklärte ich ihm den Grund. Er meinte: „Verdammt noch mal, warum hast du das nicht gleich gesagt?“ Ich antwortete, das seien doch Frauensachen. Darauf er: „Ich bitte dich, Margarethe, ich verstehe dich! Ich bin doch eine Frau!“

Bergman hat nicht nur Filme, sondern auch sein Begräbnis auf der Ostseeinsel Färö inszeniert?
TROTTA: So war es. Der Sarg musste stimmen, Kränze und Buketts waren nicht erlaubt, als Gäste durften nur seine Familie, ein paar Schauspieler und die Leute aus dem Dorf kommen. Politiker und sonstige Prominenz waren nicht erlaubt.