Warum ist heutzutage eher Leadership gefragt, also eine echte Führungspersönlichkeit, als ein Boss oder Chef?
Christian LAGGER: Man muss auch zwischen Leadership und Manager unterscheiden: Ein Manager bringt auf Grundlage von Daten, Fakten, Zahlen Prozesse auf den Weg. Ein Leader ist jemand, der in einer komplexen Situation Entscheidungen trifft. Und das braucht es gerade in unseren volatilen Zeiten. Die Coronapandemie hat uns sehr deutlich vor Augen geführt, dass es Führungspersönlichkeiten braucht, die sofort umschalten können, um flott auf neue Entwicklungen einzugehen. Ein Plan für die nächsten fünf Jahre half da nicht weiter.

Was ist mit den Mitarbeitern?
Als guter Leader muss man komplexe Dinge auf den Punkt bringen und vermitteln können. Dann kann man auch die Belegschaft motivieren und mitnehmen. Ein Leader muss Menschen mögen. Wer Menschen nicht mag, kann nicht führen. Ich unterrichte auch an der Karl-Franzens-Universität und am Institut für Entrepreneurship und sage den Studierenden immer, dass sie sich entscheiden müssen: Entweder wollen sie eine Fachkarriere machen oder eine Führungskarriere. Beides geht nicht.

Wieso nicht?
Weil beides schwer integrierbar ist. In einem Teilsegment kann ein Leader zwar auch ein Experte sein, aber er wird sich in weiterer Folge fachlich nie wirklich vertiefen können, sondern nur punktuell. Leadership bedeutet letztlich, den Gesamtüberblick zu behalten.

„Gute Medizin funktioniert nur als Teamleistung gut“, schreiben Sie in Ihrem gemeinsam mit Clemens Sedmak verfassten Buch in Briefform „Leadership ohne Blabla“ . Sie nennen als Beispiel John F. Kennedys Begegnung mit einer Aufräumerin in Cape Canaveral kurz vor dem ersten Mondflug. Als er sie fragte, was sie so mache, sagte sie: „Ich helfe mit, dass der erste Mensch zum Mond kommt.“
Und genau so ist es auch, denn es braucht viel und viele, um einen Menschen auf den Mond zu bringen. Dazu gehört auch die Raumhygiene. Auch ein Krankenhaus ist ein interdisziplinärer Kosmos, in dem es auf jeden Einzelnen ankommt. Das Cape-Canaveral-Beispiel zeigt, wie wichtig es ist, die gesamte Belegschaft zu begeistern, und ihr zu vermitteln, dass sie Teil von etwas Größerem sind. Das ist einer der Punkte, der einen Leader von einem Manager unterscheidet: Es braucht eine visionäre Kraft, um so eine komplexe Gruppe wie die Belegschaft mitzunehmen.

Braucht es auch mehr Philosophen oder Theologen in denFührungsetagen statt der Erbsenzähler, die nur auf Zahlen starren?
Es braucht jedenfalls Menschen, die eine Reflexionskraft haben.

Spielt auch Ethik eine Rolle?
Ja natürlich, denn überall, wo es um gesellschaftliches Leben geht – und Unternehmen sind immer gesellschaftlich verankert –, geht es auch um Fragen der Ethik: Wie geht man mit den Mitarbeitern um? Wie ist die Unternehmenskultur generell? Fördert die Unternehmenskultur oder macht sie Menschen kaputt? Alles Fragen, die eine große Rolle spielen. Aber die Ethik ausnützen zu wollen, um die Prosperität von Unternehmen zu erhöhen, das wird nicht von langer Dauer sein.

Hat Sie am Briefwechsel mit Clemens Sedmak, der Sozialtheologe am King’s College in London war und Professor für Sozialethik in den USA ist, etwas besonders überrascht?
Dass wir so lange durchgehalten haben (lacht).

Die Leseliste am Ende des Buchs ist sehr bunt: Da gibt es mit Tiziano Terzani das Buddhistische, mit Marko Feingold das Jüdische und mit Papst Franziskus das Katholische: Geben Religionen besonderen Halt in Führungsfragen?
Ich glaube, dass jeder Mensch spirituelle Quellen hat, egal, aus welcher Richtung die kommen. Und eine Führungskraft nährt sich aus solchen Quellen. Weil solche Quellen einerseits Kraft geben, andererseits aber auch Sinnorientierung. Führungskräfte sollten ein Gespür für die Entwicklungen in der Welt haben. Für mich persönlich steht die Pflicht dahinter, mich auch für das andere, auch für das Fremde zu interessieren.

Sie sind ein in der Wolle gefärbter Katholik: Was war der eigentliche Grund dafür?
Das hat mit meiner Sozialisation zu tun, damit, wie ich aufgewachsen bin. Ich war in der katholischen Jugend, das war eine sehr erfüllende Jugendzeit, dann die Studienwahl Theologie, und ich war von 2001 bis 2010 Sekretär bei Bischof Egon Kapellari und lernte dort auch Erzbischof Franz Lackner kennen. Das sind für mich besonders prägende Menschen.

Gibt es aber im familiären Bereich einen Menschen, der Sie diesbezüglich besonders beeinflusst hat? Eltern? Oma und Opa?
Die Großeltern haben mich diesbezüglich schon sehr geprägt. Mein Opa war besonders.

Wie war er?
Mein Opa hat zwei Weltkriege erlebt. Er baute auf, war zufrieden. Ich werde nie vergessen, wie er zu mir sagte: Du musst ins Gymnasium in Villach, damit es dir einmal besser geht. Ich wollte lieber in die Skihauptschule in Feistritz/Drau, in die auch der Franz Klammer ging. Ich sagte zu Opa: Das reicht mir. Aber Opa sagte: Nein, du gehst ins Gymnasium! Dann begann er aufzuzählen: Kreisky, Freifahrtschein, Schulbücher gratis. Also: Postbus, ab nach Villach! (lacht)

Hat er Bruno Kreisky auch zum Bundeskanzler gewählt?
Ich vermute. Opa war Kreisky-Fan, weil der ein Förderer und Ermöglicher war. Meine kurze Karriere als Langläufer war damit zu Ende, zum Skifahren hat’s ohnehin nie gereicht.

Opa besaß wohl Leadership?
Ja, das war Top-down-Leadership (lacht). Das fällt mir jetzt auf. Er war lange Betriebsobmann im Foscari-Forstbetrieb.

Sie sind seit 2010 Geschäftsführer der Elisabethinen, seit dem Vorjahr auch Vorsitzender der österreichischen Ordensspitäler: Was zeichnet diese Spitäler aus?
Ich sehe die große Stärke in der Haltung und Wertehaltung gegenüber den Menschen, geprägt von der Barmherzigkeit und christlichen Nächstenliebe. Bei uns wird in Umfragen der Wert der Zuwendung zum Menschen immer besonders hervorgehoben. Und das ist auch unser genetischer Code.