Von "Orfeo" zu "Orphée" in zwei Tagen: mit einer Ballett-Version von Glucks "Orphée et Eurydice" hat Meisterchoreograf John Neumeier den Salzburger Pfingstfestspielen am Samstag einen Besuch abgestattet und der fast gleichnamigen Eröffnungsoper vom Vortag eine Deutungsalternative gegenübergestellt: Das Stück über Trauer und Wut des Hinterbliebenen wird in Neumeiers Tanzfest eine Ode ans Elysium - und damit an den Abschied als künstlerischer Ideengeber.

Tags zuvor hatte Pfingst-Intendantin Cecilia Bartoli in der selten gespielten, italienischen, Parma-Fassung von "Orfeo ed Euridice" ihr persönliches Orpheus-Debüt gegeben, unterstützt von der konzentrierten Regie Christof Loys (hier unser Bericht). Die Pariser Fassung, für die Gluck nicht zuletzt umfassende Ergänzungen der instrumentalen Balletteinlagen vorgenommen hat, ist ausschweifender. John Neumeier hat seine Choreografie bereits 2017 in Chicago herausgebracht, hier im Salzburger Zusammenhang liest sie sich als Deklination des mythischen Stoffes über das Dreigeflecht aus Kunst, Liebe und Tod, der das gesamte Pfingstprogramm prägt.

Wo Loy, als Opernregisseur, der auch choreografiert, die tanzenden Körper als Szene für seine Sängerinnen einsetzt, kommt Neumeier von der umgekehrten Seite. Seine Muttersprache ist der Tanz, hier wohnt die Emotion des Abends, und wenn gerade nicht getanzt, sondern "nur" gesungen wird, dann wirkt eine Leere, eine Abwesenheit. Maxim Mironov, dessen heller Tenor den Orphée mit Agilität und Feinheit umsetzt, sitzt dann mitunter recht verlassen herum, wenn ihm nicht der puncto Bühnenpräsenz stark aufgewertete Amor (Lucia Martin-Carton) zur Seite stünde.

Neumeier kann Trauer, Einsamkeit und Verzweiflung, aber das Elysium liegt ihm mehr: Das Kollektiv und die Einzelnen, getragen von Hoffnung und Zuneigung, von einer friedlichen Lebensruhe, die nur im Jenseits zu finden ist. Kein Wunder, dass Eurydike (stimmlich, darstellerisch, emotional elegant: Andriana Chuchman) da gar nicht mehr so richtig weg möchte. Lieber mischt sie sich unter die Tanzenden und lässt sich bereitwillig vom Zweifel befallen, ob das Angebot ihres seltsam abweisenden Ehemannes, ihm zurück ins Leben zu folgen, tatsächlich einen Ausweg, oder eher eine Sackgasse darstellt.

Musikalisch hält die Produktion mit Ballettfokus dem Vergleich mit dem sängerisch illustren Eröffnungsabend weitgehend stand, bleibt aber in seinem Schatten. Kazuki Yamada dirigiert die Camerata Salzburg, es singt der Bachchor aus dem Orchestergraben. Neumeier, der auch seine Bühnen selbst konzipiert, braucht oben Platz. Drehende, halb offene Räume mit Spiegeln verstellen im Schattenreich immer wieder den Blick, ephemere Kammern für Traumgebilde, die nur Ideen zurücklassen. So sieht ein Happy End für Neumeier aus: Eine Idee bleibt, ein künstlerischer Samen, mit dem sein Orpheus - er ist nicht Sänger, sondern Choreograf - den Verlust der Geliebten überwindet und übersteigert.