Er sah ein bisschen aus wie Robert Redford, ein bisschen lässig, ein bisschen nachlässig, ein ganz klein wenig verloren, smart und charmant, vielleicht konnte man relaxed elegance behaupten. Er klang – schon damals! – wie ein Deutscher, kein Bayer freilich, eher einer aus Hessen, vielleicht sogar aus Nordrhein-Westfalen. Eine Quelle nennt tatsächlich Düsseldorf als Geburtsort, eine andere aber Wels in Oberösterreich: mysteriös, mysteriös. Eine deutsche Vergangenheit mochte er haben, aber er zog, wenn auch auf Umwegen, hierher, der neuen Universität wegen – und er blieb sein Leben lang. Er fuhr Alfa Romeo und ich glaube, er bevorzugte Lenkräder aus Holz. Jedenfalls stammen von ihm die Sätze: Gerüchte kann man nur bestätigen. Was sich beweisen lassen muss, ist wenig wert. Mm! Hm! Mm!

Wie manch andere namhafte Philosophen hatte er, wenn ich mich nicht täusche, jedenfalls im Erstfach nicht die Philosophie, sondern die Philologie, die Literatur, die Germanistik studiert, dann aber Philosophie gelesen und gelehrt, sofern man die überhaupt lehren kann: Sprachphilosophie, Ästhetik, Nietzsche und Musil, Eco und Calvino, Aristoteles, Canetti, Hegel, Foucault oder Deleuze; aber im Grund war es nicht so wichtig, über wen oder was er las. Entscheidend war: wie. Im Grund sprach er am Pult im HS1 oder HS4, manchmal im UR-Z-109 immer über das, was ihn gerade beschäftigte, und allen Gedanken, die er formulierte und garnierte, allen Gedankengebäuden, die er konstruierte oder referierte, schob er, während seine Augen um Zustimmung buhlten, ein vollmundiges, ein tönendes Schmunzeln nach, das in ein langes genüssliches „Mm!“ mündete und auslief: Mm – wie Manfred Moser. Wenn er nicht alliteriert hätte, hätte er sich eine Alliteration erfinden müssen. Er war vielleicht weniger ein Philosoph als ein Philosophiekünstler. Was immer auf seiner philosophischen Speisekarte stand: Manfreds Vorlesungen und Seminare waren ein Gastmahl, ein Symposion im eigentlichen Sinn, ein rhetorisches Fest. (O. k., Platon hat nicht so viel geraucht. Aber dafür konnte er auch nicht so wunderbar mampfschmunzeln.) Seine Sprache glitzerte und funkelte. Diese rhetorischen Feste beeindruckten uns, mich jedenfalls Woche für Woche; ich glaube, sie beeindruckten auch ihn selbst. Eitelkeit und Bescheidenheit waren nicht voneinander zu trennen, ja nicht einmal voneinander zu unterscheiden. Das habe ich mir von ihm abgeschaut.

Feine Klinge auf grobem Klotz

Außerdem Gedankenschärfe: Manfred Moser war vor mir der Erste im ganzen Land, der Haider bei einer Podiumsdiskussion rhetorisch in Verlegenheit brachte und auf dem falschen Fuß erwischte. Feine Klinge auf einen groben Klotz. Folgen hatte das Rededuell natürlich weiter keine. Umgekehrt hielt er einmal die Einführung zu einem gut besuchten Gastvortrag von Peter Sloterdijk an der Uni, und der weltberühmte Philosoph dankte ihm mit den schnippischen Worten: „Das war das Freundlichste, was Sie seit Langem über mich gesagt haben!“ Feine Klingen untereinander …

Wie jeder Künstler brauchte er Publikum, die Hörer (und Hörerinnen!) auf der Uni waren nicht genug. MM war nächtlicher Stammgast an den Theken der Stadt, im „Großen Club“, im „Kleinen Club“, im „Kamot“, im alten „Bierjokl“, im neuen „Bierjokl“, im „Schwuppdiwupp“, später im „CiK“, jedenfalls so lang auch ich dort Stammgast war. Er rauchte viel – das taten wir alle – und balancierte mit der Asche, ohne sie abzustreifen. Er trank – wie wir – und ließ sich keinen Tropfen anmerken. Niemands Anschauungen waren unberechenbarer, überraschender, origineller. Und immer dieses nachgereichte Schmunzeln, dieses mampfende Mmmm!

Wie es sich für einen Denker gehört, hielt er seine Vorlesungen abends – und verlängerte sie bei Speis und Trank – Pizza und Merlot – mit Open End in der Uni-Pizzeria, die damals, obwohl es die Büchertapete noch nicht gab, gewissermaßen ein Bestandteil der Uni war wie ihre Bibliothek oder eines ihrer Institute – und dort auf den Pizzeriaholzbänken erzählte MM seinen Jüngern und Jüngerinnen von seinem Roman, von „Second Land“, eine Art Provinztelefonbuch, ein Abgesang auf Platzhirschwichtigtuerei und Platzhirscherbärmlichkeit. „Die Schnur, aus der der Knoten ist, besteht aus Namen, und die Namen stimmen alle …“ Das Schmunzeln hörbar zwischen den Zeilen. Humbert Fink war gerade noch am Leben, von Alois Brandstetter erschien im selben Jahr „Vom Hörensagen“, von mir – noch Dissertant – das Frühwerk „Kands Fieber“, und erstmals hatte nun auch MM das Dickicht der literarischen Landschaft durchwandert, nach langem Warten viele unverständige oder vorgedruckte Absagen irgendwelcher Kleinverleger einstecken und wegstecken müssen, ehe sich plötzlich Jochen Jung, damals der Caesar unter den österreichischen Verlegern, bei MM meldete, Second Land als Nonplusultra pries, kaufte, publizierte und sogar zur Präsentation in der überfüllten Landhausbuchhandlung anreiste. Da gab es in der Uni-Pizzeria viel zu erzählen, zu schmunzeln, zu mmpfen! „…der Stachel in meinem Fleisch aber saß tief, ich verspürte die Lust, jemanden zu beleidigen, der es verdiente.“

Angewidert vom Literaturbetrieb

Aber der programmierte Bestseller wurde das Werk dann doch nicht, und von Manfreds Nachfolgeprojekt, eine Neuerzählung der Nibelungen (die ja bis dahin keinen Autor hatten!), wollte Jochen Jung nicht mehr wirklich etwas wissen. Manfred seinerseits war vom Literaturbetrieb wohl ebenfalls schnell angewidert. (Ein paar Plaudereien mit Gert Jonke habe ich in Erinnerung, Winkler dagegen überließ er lieber den verbissenen Ganzgermanisten.)

So klein ist unsere Kleinstadt auch wieder nicht, dass es kein großer Zufall wäre, dass unsere Wohnhäuser nur ein paar Hundert Meter voneinander entfernt liegen. Aber ein einziges Mal hat er mich, ein einziges Mal habe ich ihn besucht, auch wenn wir uns oft getroffen haben: in der Bankfiliale, in der Apotheke, im Supermarkt (Manfred mit Bastkörbchen), vor allem an den Nachttheken. MM hat mich fasziniert, ich habe ihn gemocht, aber ich habe ihm nicht ganz über den Weg getraut: Im Grunde lasse ich mich ja nicht gern überraschen. Einmal aber ist es mir – nolens, volens – gelungen, umgekehrt ihn zu überraschen – mit meiner Dissertation. Ich habe ihn zum Vater gemacht, zum Dissertationsvater, ohne ihn vorher aufzuklären, dass ich in der Hoffnung war. Sein Gutachten müsste ich jetzt erst mühselig in meinem Fundus suchen: Es war gut, aber darauf kommt es ja nicht an. Zu seinen Lebzeiten war es mir völlig unmöglich, etwas über meinen Doktorvater zu schreiben; jetzt aber kommen nach und nach die Bilder. Ich denke, Manfred hat eigentlich überhaupt nicht hierher gepasst, so wenig wie Robert Redford. Intellektuell war er hier ein kleines bisschen immer ein Fremdkörper inklusive Fremdgeist – und gerade das hat ihn so unerhört wertvoll gemacht.