Die Wirklichkeit ist so schlimm, dass sie nicht beschrieben werden kann. Und nicht dargestellt. Auch nicht am Stadttheater Klagenfurt (das nur ein paar Schritte südlich der Dr.-Franz-Palla-Gasse steht, die zur ehemaligen heilpädagogischen Abteilung und Zwangssterilisierungsabteilung des ehemaligen LKH Klagenfurt führt), wo demnächst ein Stück gegeben wird, das sich mit dem „Fall Wurst“ beschäftigt und vom „System Wurst“ erzählt.
Auf die Bühne bringen kann man keine Arztpraxis, die ein fünfjähriges Kind betritt und in der ein Arzt sitzt, der dieses Kind sexuell missbraucht – auch wenn das Opfer selbst, das einmal dieses fünfjährige Kind gewesen ist, es so inszenieren würde. Der eigentliche Regisseur erzählt in der Produktion des Theaters gleich neben der Dr.-Franz-Palla-Gasse stattdessen vom Nicht-Sehen, also von dem, was die Leute noch gesehen haben oder nicht sehen wollten. Er gibt den Opfern eine Stimme, ohne dass im Theater gleich neben der Palla-Gasse
Dr. Franz Wurst als Figur dargestellt wird. Auch dessen Name wird erst sehr spät vorkommen. Wurst, eine der Spitzen der Stadtgesellschaft und nicht nur wegen Bestimmung zum Mord an seiner Frau durch seinen Toy-Boy rechtskräftig verurteilt, sondern ein jahrzehntelanger Establishment-Kinder-Sexualmissbrauchstäter – ist „nicht wichtig genug, dass er eine Darstellung auf der Bühne (des Theaters gleich neben der Dr.-Franz-Palla-Gasse) kriegt“.
Das Leben ist aber nicht nur eine Tragödie, sondern auch eine Komödie, und das Komische ist, dass fast alle Geschichten, die das Land erzählt, total eklig – um nicht zu sagen: tragisch – sind, aber gleichzeitig nur nette Menschen in diesem Land leben. Nicht nur im Rosental, nicht nur im Publikumsraum des Theaters, auch in der Dr.-Franz-Palla-Gasse: Nichts als nette Menschen! Die netten Menschen, die in der Palla-Gasse geparkt haben und dann ins Theater gegangen sind, werden am Ende des zweifelsohne brisanten Stückes begeistert und doch auch betroffen frenetisch applaudieren – ein Applaus, den eigentlich die Opfer verdienen (sofern Opfer überhaupt Applaus haben wollen …). Dann werden sie sehr nachdenklich zurück zu ihren Autos in die Dr.-Franz-Palla-Gasse schlendern. Freilich: Die Mauern des Stadttheaters sind dick, und in der ein paar Schritte entfernten Dr.-Franz-Palla-Gasse wird der Applaus nicht mehr zu hören sein.