Das berühmteste Stück der Salzburger Festspiele, der "Jedermann", wurde nicht in Salzburg uraufgeführt (sondern 1911 in Berlin). Und auch sonst ist das Traditionsfestival nicht eben wegen seiner Uraufführungen berühmt. Ausnahmen von Thomas Bernhard und Peter Handke bestätigen die Regel. Im Folgenden ein Blick auf zehn wichtige Schauspieluraufführungen der vergangenen 100 Salzburger Festspieljahre.

12. AUGUST 1922 - HUGO VON HOFMANNSTHAL: "DAS SALZBURGER GROSSE WELTTHEATER"

Hugo von Hofmannsthal nahm Calderons Mysterienspiel "Das große Welttheater" und formte es angesichts der Krise in den Jahren nach dem Ersten Weltkrieg so um, dass sich religiöse Allegorien mit aktueller Sozialkritik verbanden. Ungeborene Seelen erhalten ihre Rollen auf Erden zugeteilt - der König, der Reiche, der Bauer, der Bettler, die Schönheit und die Weisheit. Obwohl wie beim "Jedermann" Max Reinhardt Regie führte und Alexander Moissi als Bettler die Hauptrolle übernahm, setzt sich das in der Kollegienkirche uraufgeführte Stück nicht durch und wurde in Salzburg nur noch 1925 gespielt. Heuer unternahmen die Sommerspiele Melk einen wenig erfolgreichen Wiederbelebungsversuch.

29. JULI 1972 - THOMAS BERNHARD: "DER IGNORANT UND DER WAHNSINNIGE"

Diese Uraufführung ging in die Theatergeschichte ein: Das Künstlerdrama um eine Diva, die als "Koloraturmaschine" kurz vor einem Auftritt als Königin der Nacht in Mozarts "Zauberflöte" steht, ihren trunksüchtigen Vater und einem monologisierenden Arzt, produzierte in der Inszenierung durch Claus Peymann ein eigenes Drama. Weil die Theaterpolizei ein völliges Löschen der Notbeleuchtung nicht gestattete, zog der Autor nach der Premiere das Stück per Telegramm zurück: "Eine Gesellschaft, die zwei Minuten Finsternis nicht verträgt, kommt ohne mein Schauspiel aus." Der "Salzburger Notlichtskandal" tat der Karriere von Dichter und Regisseur keinen Abbruch, im Gegenteil. Die buchstäblich einmalige Aufführung (mit Bruno Ganz, Angela Schmid, Ulrich Wildgruber, Maria Singer und Otto Sander) kann übrigens auf DVD gesehen werden - "bei Bedarf auch in einem völlig abgedunkelten Raum", wie der Verlag anmerkt. In der Regie von Gerd Heinz kehrte das einstige Auftragswerk der Festspiele 2016 an das Salzburger Landestheater und in das Festspielprogramm zurück.

27. JULI 1974 - THOMAS BERNHARD: "DIE MACHT DER GEWOHNHEIT"

Wieder stand ein Musikstück im scheinbaren Mittelpunkt eines Stückes von Thomas Bernhard, doch diesmal blieb die Uraufführung im Salzburger Landestheater ohne Aufregungen. Zirkusdirektor Caribaldi versucht seit 22 Jahren, eine Aufführung von Schuberts "Forellenquintett" hinzubekommen, scheitert aber immer wieder an den Umständen. Eine bittere Komödie über die Vergeblichkeit aller Kunstanstrengung und die Schimäre des Lebensglücks: "Wir wollen das Leben nicht / aber es muß gelebt werden / Wir hassen das Forellenquintett / aber es muß gespielt werden". Regie führte diesmal nicht Claus Peymann, sondern Dieter Dorn. Die Inszenierung mit Bernhard Minetti als Caribaldi, sowie Fritz Lichtenhahn, Anita Lochner, Hans Peter Hallwachs und Bruno Dallansky ist auf DVD dokumentiert.

8. AUGUST 1982 - PETER HANDKE: "ÜBER DIE DÖRFER"

Filmregisseur Wim Wenders inszenierte, unterstützt von Hannes Klett als Co-Regisseur, ein großes "dramatisches Gedicht" seines Freundes Peter Handke in der Felsenreitschule: Protagonist Gregor (Martin Schwab) kehrt für die Regelung von Erbschaftsangelegenheiten rund um das Elternhaus in sein Heimatdorf zurück. Dabei wird klar, dass die Umstände sich verändern und nicht mehr der Erinnerung entsprechen. Die Figur der Nova (Libgart Schwarz), die den "Geist des neuen Zeitalters" verkörpert, hält dagegen: Die Kunst und das Erzählen können Dinge bewahren, die sonst verloren gingen. Hier setzte nach der Uraufführung die Kritik an, die Einwände gegen pathetische Sprache und konservative Weltsicht vorbrachte. Kritikerin Sigrid Löffler dagegen meinte: "Hier ist es, das ins Universale überhöhte, großartige, festliche Spiel." Von der kritischen Aufnahme enttäuscht, hielt sich Handke einige Jahre vom Theater fern. Wie wichtig Handke selbst dieses Stück ist, zeigte sich 2019 bei der Entgegennahme des Nobelpreises: "Über die Dörfer" und insbesondere die Rede der Nova dienten ihm als Klammer seiner Stockholmer Nobelvorlesung.

17. AUGUST 1985 - THOMAS BERNHARD: "DER THEATERMACHER"

Es ist das vermutlich populärste und am häufigsten nachgespielte Stück von Thomas Bernhard: "Der Theatermacher", das ist Staatsschauspieler Bruscon, der auf Tournee im Dorf Utzbach Halt macht und im Wirtshaussaal mit seiner Familientruppe seine Komödie "Das Rad der Geschichte" aufführen möchte. In vielen Anspielungen nimmt das Stück auf den "Notlichtskandal" von 1972 Bezug - bis hin zur Forderung Bruscons nach völliger Dunkelheit, die vom örtlichen Feuerwehrhauptmann zur erkennbaren Enttäuschung des Schauspielers anstandslos bewilligt wird. Für Traugott Buhre wurde Bruscon eine seiner Glanzrollen, von Claus Peymanns Inszenierung im Landestheater blieb neben vielen komödiantischen Facetten wie der Betonung des Wortes Frittatensuppe vor allem der Auftrittssatz "Was, hier, in dieser muffigen Atmosphäre?" in Erinnerung. Mit ihm ließ Peymann 1986 seine Burgtheater-Direktion beginnen, da er die zunächst in Bochum gezeigte Inszenierung nach Wien mitnahm.

18. AUGUST 1986 - THOMAS BERNHARD: "RITTER, DENE, VOSS"

Ilse Ritter, Kirsten Dene und Gert Voss geben den Titel vor, doch das Stück, das Claus Peymann am Landestheater als Koproduktion mit dem Burgtheater herausbrachte, fand sich später auch mit anderen Hauptdarstellern immer wieder auf den Spielplänen. Die Geschwisterkonstellation mit dem aus der Anstalt Steinhof zum Mittagessen in die Döblinger Familienvilla geholten "Philosophen" Ludwig (mit großer Nähe zu Ludwig und Paul Wittgenstein) und seinen beiden Schwester, die unterschiedlich erfolgreiche Schauspielerinnen sind, bietet eine Steilvorlage für darstellerische Virtuosität, die in späteren Inszenierungen unerreicht blieb und in der "Edition Burgtheater" auf DVD bewundert werden kann. Die Uraufführungsinszenierung war so erfolgreich, dass sie von Peymann in Berlin wieder aufgenommen wurde, als er 2004 ans Berliner Ensemble wechselt.

26. JULI 1993 - BOTHO STRAUSS: "DAS GLEICHGEWICHT"

Luc Bondy inszenierte ein neues Stück von Botho Strauß, dessen Essay "Anschwellender Bocksgesang" eben für Aufregung im deutschen Feuilleton sorgte - eine ideale Kombination, die dennoch nicht wirklich Theatergeschichte schrieb. Zu verschwurbelt ist die vierstündige Geschichte der Professorengattin Lilly Groth (Jutta Lampe), die ein Doppelleben als Zeitungsverkäuferin führt und von ihrem Ehemann bei einem fehlgeleiteten Bogenschuss in den Rücken getroffen wird. Die philosophisch verstiegene und wenig bühnenwirksame Befindlichkeitsauslotung, die auch als Metapher auf das wiedervereinigte Deutschland gelesen werden kann, wurde zwar in Salzburg im nächsten Jahr wieder aufgenommen, fand jedoch keinen dauerhaften Platz auf den Spielplänen.

24. JULI 2001 - CHRISTOPH RANSMAYR: "DIE UNSICHTBARE"

Es war das mit Spannung erwartete erste Stück des großen Dichters Christoph Ransmayr: "Die Unsichtbare. Tirade an drei Stränden" wurde von Claus Peymann im Landestheater uraufgeführt. Der Prosaautor und Kinofan Ransmayr schrieb in seinem Bühnenerstling eine liebevolle Abrechnung wie gleichermaßen eine satirische Liebeserklärung an das Theater und legte sie der Souffleuse (Kirsten Dene wurde am Ende für ihre Darstellung umjubelt) einer heruntergekommenen, sich nur mit See- und Meeresstücken beschäftigenden Provinzbühne namens "Schauspiel am Strand" in den Mund. Die harmlose Aufführung erlitt zwar nicht Schiffbruch, geriet aber in eine zweistündige Flaute. "Die Salzburger Abende waren ausverkauft, und ich habe als Romancier überraschenderweise den Nestroy-Theaterpreis dafür bekommen. Aber es gab dramatisch geteilte Kritiken: Verfluchungen auf der einen, Hymnen auf der Gegenseite und alles, was sich ein Theaterdirektor an Trubel und Böllerei um ein Stück nur wünschen kann", erinnerte sich Ransmayr später.

29. JULI 2002 - PETER TURRINI: "DA PONTE IN SANTA FE"

Peter Turrini erinnerte sich dagegen noch nach vielen Jahren mit Grimm an den Uraufführungsabend, als ihn und Regisseur Claus Peymann, der bis zuletzt an einen großen Erfolg glaubte, beim Verbeugen ein Buhorkan empfing. Turrini hatte das Schicksal von Mozarts Librettisten Lorenzo Da Ponte, der 1805 in die USA auswanderte, wo er verarmt starb, zum Ausgangspunkt gewählt, dessen dramatische Geschichte jedoch nicht in Handlung umgesetzt, sondern von ihm selbst bloß nacherzählen lassen. Das gesamte Stück spielte während einer "Don Giovanni"-Aufführung im Foyer eines von Rolf Glittenberg gebauten Saloonoperntheaters. Die Kritiken waren vernichtend. "Gegen die Dummheit des Premierenpublikums ist kein Kraut gewachsen", meinte Peymann darauf und tönte: "Die Kritiker sollen mich - entschuldigen Sie bitte - am Arsch lecken." Turrini mied Salzburg künftig: "Ich habe die Massivität dieser Ablehnung nie wirklich überwunden."

12. AUGUST 2011 - PETER HANDKE: "IMMER NOCH STURM"

Diese Uraufführung wurde ein unangefochtener Erfolg: Fast fünf Stunden dauerte Dimiter Gottscheffs Inszenierung auf der Pernerinsel, die mit rieselnden Blättern, einer Konzentration auf die Sprache und einem grandiosen Hauptdarsteller Jens Harzer aufwarten konnte. Seine unschwer als Handkes Alter Ego zu identifizierende Figur erzählt eine Mischung aus Handkes persönlicher Familiengeschichte und der Geschichte der Kärntner Slowenen und befragt dafür Mutter, Onkel, Tanten und Großeltern. Trotz szenischer Windstille entfaltete dieser Sturm seine Mächtigkeit in dem poetischen Grundduktus von Handkes Familienaufstellung: "Da seid ihr nun, Vorfahren. Die längste Zeit schon habe ich auf euch gewartet." Am Ende kam auch der Autor selbst auf die Bühne, ignorierte den einen oder anderen Buhruf und umarmte seinen Theaterdoppelgänger. Für das Stück gewann Handke den Nestroy-Autorenpreis und wurde in Mülheim zum "Dramatiker des Jahres" gekürt.