Wie soll man sich den lieben Gott vorstellen? Wie 10.000 Mark, zumindest in Ödön von Horváths düsterer früher Komödie „Zur schönen Aussicht“, verfasst um 1926, erst 1969 am Grazer Schauspielhaus uraufgeführt. Ebendort ist sie nun wieder zu sehen, inszeniert von der kroatischen Regisseurin Anica Tomić. Horváth wird derzeit viel gespielt, er ist der perfekte Dramatiker für die Permakrise, schließlich hat keiner so genau wie er die bedrückenden Zustände beschrieben, die menschliche Seelen nachhaltig verformen: Krieg und Rezession, bröckelige Demokratie und wirtschaftliche Instabilität, polarisierte Gesellschaften und rechte Eskalationsrhethorik (unglaublich, dass 1926 fast 100 Jahre her sein soll) bereiten den Boden für ein Tableau menschlicher Niedertracht.

„Wir wären gut – anstatt so roh, doch die Verhältnisse, sie sind nicht so.“ Das hat zwar Brecht geschrieben, aber es beschreibt die Zustände in dem heruntergekommenen Hotel, das Horváth zum Schauplatz macht. Im Schauspielhaus ist dessen Lobby (Bühne: (Igor Vasiljev) ganz in Gelbgold getäfelt, aber der Prunk täuscht natürlich: Das Haus „Zur schönen Aussicht“ ist eine wirtschaftliche Ruine, besiedelt von zwielichtigen Gestalten. Es gibt nur einen Gast, die begüterte Baronin Ada von Stetten (grandios zügellos: Steffi Krautz). Der dienen Strasser, der Direktor (schön schmierig: Fredrik Jan Hofmann), Chauffeur Karl, der als Totschläger im Zuchthaus war (Sebastian Pass), und der kleinkriminelle Kellner Max (Raphael Muff) alle als bezahlte Sklaven im Alltag und in Liebesdingen. Als Adas Bruder (Franz Solar) auf Besuch kommt, entpuppt er sich als spielsüchtiger Schnorrer, der Sektlieferant Müller (Rudi Widerhofer) ist ein Kriegsverherrlicher und Frauenhasser.

Nur Geld kann uns retten

In diese Gesellschaft verschlagener Kriecher platzt der einstige Hotelgast Christine (Maximiliane Haß). Die junge Frau hat von Strasser ein Kind bekommen. Nun fürchtet er Alimentationsforderungen. Flugs vereint sich die Runde in Niedertracht: Alle anwesenden Männer behaupten eine Affäre mit Christine, um Strassers Vaterschaft infrage zu stellen. Dann stellt sich heraus, dass sie gar nichts will: Im Gegenteil, der „liebe Gott“ hat ihr eine fette Erbschaft beschert, das jeder ihrer angeblichen Liebhaber dringend brauchen könnte. Schon lecken ihr alle die Füße. Nur Geld kann uns retten? Viel pessimistischer kann man nicht sein als Horváth hier.

Mit Schwung inszeniert Tomić Horváths Analyse menschlicher Verschlagenheit als Auswuchs patriarchaler Gewalt. Doch der Witz wirkt ausgedünnt, die Kritik seltsam teilnahmslos, der Funke will nicht überspringen, wenn Tomić die radikale Mitleidlosigkeit mon-ströser Männerbündlerei bloßlegt; wenn in Saufgelagen und Marschierszenen die männliche Untergangsgesellschaft faschistischer Prägung ausgestellt wird, wenn sich die Figuren im Showmoderatorenstil an der Rampe dem Publikum anbiedern. Das Finale immerhin versieht die Regisseurin mit einer selbstbewussten Volte: Da solidarisieren sich die beiden Frauen und ziehen im Bühnenregen plaudernd davon. Die Männer allerdings trommeln man so verzweifelt wie vergeblich an die Tür nach draußen. Geschlossene Gesellschaft: Die Hölle, der man nicht entrinnen kann, das sind hier die anderen Männer. Kurzer Applaus.