Hartnäckig hält sich das Missverständnis, das Kabarett sei vor allem dazu da, damit sich Künstler und Publikum gemeinsam über die Zustände/Deppen da draußen mokieren können. Am radikalsten aufgeräumt hat damit Josef Hader, und keineswegs von ungefähr stellt Österreichs größter Kabarettist zu diesem Zwecke gern eine Kunstfigur namens Josef Hader in den Mittelpunkt seiner Programme: Selbige scheint sich fürs bürgerlich-liberale Kabarettpublikum erst einmal höchst benutzerfreundlich zur Identifikation zu eignen, erweist sich aber üblicherweise bald als ziemlicher Dreckstyp.

Mehr denn je auch in „Hader on Ice“, dessen Graz-Premiere am Mittwoch im Orpheum stattfand. In seinem ersten Kabarettsolo seit 17 Jahren präsentiert sich der Künstler als kreativ abgehalfterter, alternder Geldsack, der damit prahlt, dass er seine Iban manchmal mit dem Kontostand verwechselt, der sich neuerdings einen nigerianischen Asylwerber als Diener hält, mit immer jüngeren Frauen immer kürzere Beziehungen eingeht und sich den teuren karibischen Rum im – eh klar! – CO2-neutralen Segelschiff in den barocken Weinviertler Bauernhof bringen lässt, in dem er nun als erfolgreicher Kreativwirtschaftler wohnt. („Im Weinviertel fällt ma als Trankler net so auf.“)

Radikal anders als seine bisherigen Programme ist „Hader on Ice“ nicht: Reichlich zitatwürdige Pointen, mäandrierende Anekdoten, z. B. um Prominente mit Mundgeruch, unheimliche Retrowellen und die Weltverschwörung der Pflanzen etc. kommen ebenso vor wie ein unsichtbarer, zwei Meter großer sprechender Wolf („Rudl“), mit dem Hader zum Schluss am Klavier zweistimmig und vierhändig „Somewhere over the Rainbow“ anstimmen wird.

Man wohnt hier also der mentalen Zerrüttung eines alten weißen Mannes zwischen Schnaps und Herzbeschwerden bei; dabei erzählt diese Verfallsgeschichte der Kunstfigur Hader aber vor allem von der Enge des Herzens. Die kennt man, unter ihrem Vulgonamen „Angina Pectoris“, als individuelle Bedrohung. Als gesellschaftliches Gebrechen werden ihre Symptome wie Entsolidarisierung, Materialismus, Ichsucht von uns Europäern gerne ignoriert. Indem Hader diese schaurige Krankheitsgeschichte entlang der eigenen überzeichneten Persönlichkeit analysiert, drängt er sein Publikum, sich der eigenen Gleichgültigkeit zu stellen. Insofern ist es noch immer fast erstaunlich, dass der Mann derart erfolgreich ist.

Hader on Ice. Orpheum Graz. Alle Herbstdaten sind ausverkauft, die nächsten Steiermark-Termine sind ab Februar 2022 geplant.
www.hader.at
www.spielstaetten.at