Wie sehr wird Ihr Festival, dessen Programm für 2021 Sie nun vorgestellt haben, noch unter dem Damoklesschwert Corona stehen?

Markus Hinterhäuser: Das ist eine Frage, die ich nicht beantworten kann. Ich bin nicht das Orakel von Salzburg. (lacht) Ich würde mir nur wünschen und bin da durchaus optimistisch, dass sich die Situation im Frühsommer dank der medizinischen Entwicklung beruhigt und eine gewisse "Normalität" einkehrt.

Präsidentin Helga Rabl-Stadler hat die Bereitschaft zu "Adaptionen" im Programm angedeutet, sollten diese aufgrund der Coronalage notwendig werden. Das bedeutet, dass auch reduziertere Festspiele für Sie denkbar wären?

Hinterhäuser: Das Einzige, das ich gesichert sagen kann, ist, dass wir in dieser Frage nicht ganz ungeübt sind. Es ist ein sehr anstrengender, komplizierter und in letzter Konsequenz auch unerfreulicher Prozess zu subtrahieren. Addieren fällt da leichter. Aber wir waren bereits einmal gezwungen, es zu tun. Und wenn wir gezwungen sind, werden wir dazu auch erneut in der Lage sein. Klar ist aber, dass das auch finanzielle Konsequenzen haben wird. Wir sind nun einmal sehr vom Kartenverkauf abhängig. Und man muss nicht Einstein sein, um zu realisieren, dass es erheblich Auswirkungen hat, wenn man von 240.000 möglichen Karten auf 80.000 reduzieren muss. Ob wir das zweimal in dieser Form finanziell schaffen, das lasse ich offen.

Bedeutet dies, dass Veränderungen des Programms auch dann möglich sind, wenn "lediglich" die Zuschauerkapazität reduziert wird?

Hinterhäuser: Die Platzkapazitäten sind allerdings sehr entscheidend! Es ist ein Mythos, dass die Festspiele hoch subventioniert sind. Unsere Subventionen machen nicht einmal ein Viertel des gesamten Etats aus. Wenn wir deutlich weniger Karten verkaufen können, kommen wir in eine sehr problematische Situation. Wir sind also in den nächsten Jahren zu einem konstruktiven Pragmatismus aufgerufen und sollten achtsam und sehr bedacht ausloten, was in Zeiten wie diesen möglich oder eben nicht möglich sein kann. Wir haben mit dieser Wirklichkeit umzugehen - auch wenn sie für niemanden erfreulich ist. Die wirklichen Konsequenzen werden wir alle noch viel schmerzhafter in zwei, drei Jahren verspüren, und zwar in so gut wie allen Lebensbereichen, nicht nur im Kulturbereich. Die unfassbar hohen Milliardenbeträge, die nun eingesetzt werden, müssen in welcher Form auch immer wieder eingespart werden.

Wäre das Programm 2021 finanziell auch dann darstellbar, wenn Sie wie heuer nur rund 80.000 Karten verkaufen dürfen?

Hinterhäuser: Das ist ein Blick in die Zukunft, bei dem sich alles in mir sträubt. Aber, dass wir Produktionen wie "Don Giovanni" oder "Intolleranza 1960" heuer nicht realisieren konnten, lag primär nicht an den Platzkapazitäten, sondern vielmehr daran, dass beide Werke eine Menge an Chorsängern und Statisten benötigen, was richtigerweise untersagt war.

 "Boris Godunow" und "Zauberflöte" sind weiterhin geschoben. Sie kommen aber fix?

Hinterhäuser: "Boris Godunow" kann 2021 aus Besetzungsgründen nicht stattfinden. Wir werden ihn zum ehestmöglichen Zeitpunkt - voraussichtlich 2024 - ansetzen. Und "Die Zauberflöte" haben wir aus finanziellen Gründen in das Jahr 2022 transferiert. Das ist eine Produktion, die weit über die Parameter einer Wiederaufnahme hinausgeht. Wir haben etliche Korrekturen gesetzt, die sehr groß sind. Deshalb würde sie im kommenden Sommer tatsächlich den finanziellen Rahmen sprengen.

Hängt Händels "Il Trionfo" davon ab, dass er zuvor bei den Pfingstfestspiele Premiere feiern kann?

Hinterhäuser: Ja, das ist wohl so. Wenn wir wie heuer eine Situation haben sollten, dass die Pfingstfestspiele nicht stattfinden können, werden wir mit dieser Produktion wohl Schwierigkeiten haben. Aber ich bin durchaus zuversichtlich für die Pfingstfestspiele.

Sie haben heute das erste Mal kein Motto für eine von Ihnen verantwortete Saison genannt. Sehen Sie 2021 keinen roten Faden?

Hinterhäuser: Man darf nicht zu viel erwarten. Es bleibt aber dabei, dass wir eine starke Erzählung haben zwischen einem radikalen, schrankenlosen Individualismus, den etwa ein "Don Giovanni" und eine "Elektra" repräsentieren, und der Idee einer Gemeinschaft, die Luigi Nono in seiner "Intolleranza" gleichsam als Manifest der Menschlichkeit, der Gerechtigkeit und der Nächstenliebe formuliert.

Die Festspiele habe heuer für die Kulturszene gleichsam als Wellenbrecher fungiert. Und doch war die Kultur wieder unter den Ersten, die im Lockdown zusperren mussten. Enttäuscht Sie diese Entwicklung?

Hinterhäuser: Ich verhehle nicht, dass sich da eine gewisse Ernüchterung einstellt. Ich habe keine Lust auf Politiker-Bashing, zumal ich die Komplexität der Situation nachvollziehen kann. Einen tiefen Lernprozess in den vergangenen Monaten sehe ich allerdings nicht. Es geht nicht um ein Dauerlamento oder eine Sonderstellung für die Kultur, aber es muss möglich sein, differenzierter mit der Lage umzugehen. Wir Kulturinstitutionen veranstalten ja kein Komasaufen! All jenes, was mit Kultur und Geist zu tun hat, darf keine Größe sein, mit der man nach Belieben umspringen kann.

Sehen Sie eine Ungleichbehandlung der Kultur, wenn wir etwa auf den Handel blicken?

Hinterhäuser: Wir haben es möglich gemacht, dass 80.000 Menschen in den Festspielhäusern ein- und ausgegangen sind, ohne dass etwas passiert ist. Es gab hier klare Vorgaben und eine hohe Identifikation des Publikums damit. Dieses Präventionskonzept wurde von vielen Institutionen erfolgreich übernommen, und es gab im Herbst keine Infektionsherde. Dennoch wurden die Häuser wieder als erstes geschlossen. Wir können aber beispielsweise weiterhin mit U-Bahnen fahren, mit Zügen oder Flugzeugen reisen. Und wenn ein großes Einkaufszentrum öffnet, ist das Ganze weit weniger kontrollierbar als bei uns im Festspielhaus. Deshalb mein Appell zum differenzierten Vorgehen.