Es ist der Abend, an dem die Regierung fallen wird, entsprechend angezipft steht der Mann im schlafuzigen Mantel vor der Tür der Fernseh-Diva: Weil der Kollege aus der Unterhaltungsredaktion krankheitshalber ausgefallen ist, muss Pierre Peters, ein Veteran der Politberichterstattung, beim Interview für ihn einspringen. Mit einer Story über die berühmte Schauspielerin, die „plastifizierte Mumie“, über die man nur Geschichten von wechselnden Liebhabern und absolvierten Schönheitsoperationen schreiben kann und die sich jetzt auch noch verspätet hat.

So beginnt im Wiener Akademietheater „Das Interview“ nach dem gleichnamigen Film des 2004 einem Attentat zum Opfer gefallenen niederländischen Regisseurs Theo van Gogh. Das Zweipersonenstück ist eine kurzfristig angesetzte Einspringer-Produktion nach Absage der ursprünglich geplanten „Tosca“ (wegen künstlerischer Differenzen mit Regisseur Kornel Mundruzco). Burgtheaterdirektor Martin Kusej selbst hat das Stück inszeniert, vor gut einem Jahrzehnt hat er das schon in Zürich und München gemacht. Auch dort, wie jetzt hier an der Akademie, mit Birgit Minichmayr in der Rolle der Seifenopernkönigin, mit der alle Reporter immer nur über ihre Titten und ihre Affären reden.

Diese Katja aber ist eine weit bessere Schauspielerin, als ihr schmieriges Gegenüber für möglich hält, und während der Reporter noch glaubt, er könne der Diva vielleicht doch eine geile Story über ihr Privatleben herauslocken, durchschaut sie längst die Inszenierung von Provokation und Larmoyanz, schockierenden Kriegsgeschichten und biografischen Vertraulichkeiten, mit der er den Schutzpanzer ihres professionellen Misstrauens zu knacken versucht. Und lässt sich ihrerseits lustvoll ein auf das Duell. Die Waffen, derer sie sich dabei bedient, sind Behauptung und Maskerade, Verletzlichkeit und Arroganz, Melodram und Kälte.

Fast hört man in Kusejs rasanter Inszenierung die Klingen klirren, während Minichmayr und Burg-Neuzugang Oliver Nägele in forscher Dialogschlacht über den blassblauen Teppich der Divenwohnung tigern, der Whisky in Strömen fließt und im Fernsehen die Nachrichten von der Ibiza-Affäre laufen. Schein und Sein, Lüge und Wahrheit, Fakt und Fiktion, alles egal, es geht darum zu gewinnen, und letztlich wird Katja den Sieg auf voller Länge davontragen.

Der Naturgewalt dieser Figur kann der so abgefeimte wie abgehalfterte Journalist Pierre letztlich genauso wenig entgegenhalten wie der Schauspieler Oliver Nägele seiner Bühnenpartnerin. So liegt diese Produktion ganz auf den Schultern von Birgit Minichmayr, und sie liegt dort gut und sicher. Phänomenal, wie ausdifferenziert hier die Schauspielerin die Schauspielerin spielt, die mit vollem Körpereinsatz und scharfem Kalkül in den Kampf um ihre Integrität und ihr Bild in der  Öffentlichkeit zieht. Da wirken auch die mittlerweile sacht angejahrten Motive von Medienmoral und Boulevardkritik wieder erstaunlich frisch.

Das Interview. Akademietheater Wien. Nächste Termine: 24., 27. Februar, 4., 17., 25. März. www.burgtheater.at