Kurz vor Festivalstart laufen Sie sicher auf Hochbetrieb, aber Sie sind ja das ganz Jahr über für die Festspiele auf Achse oder besser im Flugzeug. Was bringen denn Ihre Repräsentationsreisen?

HELGA RABL-STADLER: Angefangen hat damit eigentlich Gerard Mortier, im Guggenheim New York. Muss so 1993 gewesen sein – Sie werden es nicht glauben, es gab die Salzburger Festspiele schon vor meiner Zeit (lacht). Unser Festival war immer sehr auf den deutschsprachigen Raum konzentriert, das ist auch unser natürliches Gebiet. Aber ausgehend von der Uridee, mit Kunst und Kultur Menschen zusammen zu bringen, haben wir unter meiner Präsidentschaft die internationalen Beziehungen – wie sie schon Max Reinhardt pflegte - stark forciert. Durch die Intensivierung des Systems der Repräsentationsreisen halten wir heute bei Gästen aus 80 Nationen, darunter 50 nichteuropäische. Die Zahl der Koreaner zum Beispiel, die uns besuchen, wächst stetig. Bei unserem letzte Treffen in Seoul kamen 150 Kulturinteressierte, die etwa über Ligetis "Le Grande Macabre" 1997 oder Mozarts "Titus" im Vorjahr schwärmten.

Ende 2020 werden Sie nach 25 Jahren Ihre Präsidentschaft bei den Salzburger Festspielen abgeben. Schon jetzt, auf der vorletzten Zielgeraden: Was wünschen Sie sich noch bis dahin, was für die Zeit danach?

HELGA RABL-STADLER: Ich habe ja vor Weihnachten absichtsvoll etwaige Spekulationen beendet, nach dem Jubiläumsjahr zu gehen. Es ist für mich eine wunderschöne...Krönung sage ich jetzt nicht, ich möchte keine monarchischen Ausdrücke dafür verwenden.., aber ein Höhe- und Endpunkt, das Jubiläum 2020 noch mitgestalten zu können. Ich habe sechs Intendanten erlebt, wir konnten die Festspiele als festen Anker der Kultur ausbauen, wir haben Markus Hinterhäuser bis 2026 als sehr fantasievollen Intendanten, wir haben Lukas Crepaz als sehr kompetenten kaufmännischen Direktor - jetzt kann einer gehen.

Aber sicher nicht in den Unruhestand, wenn man Sie kennt.

HELGA RABL-STADLER: Also, ich falle sicher in ein Loch. Aber wenn man weiß, dass es dieses Loch gibt, tut man sich schon leichter. Außerdem: Was soll man nach den Festspielen noch machen? Ich empfinde es ähnlich wie mein Vater Gerd Bacher, der mit 69 als ORF-Generaldirektor in Pension ging und auf das Angebot, Aufsichtsrat bei Sat 1 zu werden, ganz resch reagierte: „Ich spielte einmal die größte Orgel, da werde ich jetzt nicht Flötenspieler!“

Wie schwer fällt es Ihnen, über 2020 nicht mehr mitplanen zu können?

HELGA RABL-STADLER: Die großen Vorlaufzeiten für Projekte sind aus mehreren Gründen schwierig und belastend. Einer davon ist, dass wir mit Festspielen immer am Puls der Zeit sein wollen – also nicht zeitgeistig, sondern stets wach, richtig und rechtzeitig auf anstehende Themen zu reagieren. Peter Sellars zum Beispiel hat das im Vorjahr beim "Titus" gemacht und in seine Regie die Migrationsfrage eingebaut, ohne platt zu sein, ohne Zeigefinger. Markus Hinterhäuser hat den schönen Satz geprägt, unsere Festspiele müssen das "Epizentrum des Besonderen" sein. Kaum aber hatten diese Worte das Gehege seiner Zähne verlassen, hatte er sie schon bereut: "Was, wenn wir es nicht schaffen, dass es bebt?"

Ihr Programm beschäftigt sich heuer mit antiken Mythen?

HELGA RABL-STADLER: Wir haben für unser Programmbuch mit Aleida und Jan Assmann ein Interview über die Kraft der Mythen geführt, und die beiden Kulturwissenschaftler sprechen darin von Erinnerungskultur, dass das Faszinierendste an Mythen ist, dass sie unbegrenzt wiedererzählbar ist und dass jede Zeit ihre eigene Art der Erzählung finden kann und muss.

In einem Interview sagten Sie, dass die Salzburger Festspiele ja selber ein Mythos sind: Was braucht man denn, um ein solcher zu werden?

HELGA RABL-STADLER: Sobald man eine Aura hat. Und etwas Geheimnisvolles. Geheimnisvoll war das Festival von Anfang an. Quasi schon vor Beginn: Noch im Krieg schrieb Max Reinhardt einen Brief an den Kaiser, in dem er von der Idee schwärmte, Festspiele zum ersten Friedensprojekt zu machen. Dass es 1920 tatsächlich zustande kam, war ebenso ungewöhnlich, wie die Wiedererstehung nach dem 2. Weltkrieg: Sofort nach dessen Ende betraut US-General Mark Clark den Heimkehrer Otto von Pasetti mit der Fortführung und sagte im August 1945 mbei der Eröffnungsfeier, die Festspiele und die Vereinten Nationen werden Österreich wieder zu einem demokratischen Land machen.

Festspiele, und gar die Ihren, zeichnet ja nicht die bloße Aneinanderreihung von kulturellen Ereignissen aus, sondern der Selbstauftrag gesellschaftspolitischer Relevanz, oder?

HELGA RABL-STADLER: Ich sage jetzt ganz selbstbewusst: Unsere Festspiele haben die kulturelle Deutungsmacht, aber Macht heißt auch Verantwortung – künstlerische natürlich, dazu gesellschaftspolitische und ökonomische. Ja, wir sind selbstverständlich auch ein Wirtschaftsmotor, und wie jeder argumentieren auch wir gern mit Umwegrentabilität.

Wie läuft der Kartenvorverkauf?

HELGA RABL-STADLER: Sehr gut. Schon im Vorjahr war es großartig, dass wir mit dem so anspruchsvollen Programm mit 261.000 Besuchern sogar einen Rekord erzielten – da können wir uns locker mit den Besucherzahlen in Stadien vergleichen, aber man soll ja das eine nicht gegen das andere ausspielen. Auf so eine Zugkraft hoffen wir natürlich auch heuer. Als ich bereits im Jänner Stöße von Bestellungen in unserem Kartenbüro sah, da hüpfte mein Herz vor Freude – da haben wir offenbar wieder was richtig gemacht. Und weil immer über die Kartenpreise gelästert wird: Die Hälfte unseres Kontingents liegt zwischen 5 und 105 Euro. 2017 war ich mit meinem Sohn Maximilian bei den Rolling Stones im Münchner Olympiastadion, da kosteten die Karten mehr und waren nach zwei Tagen weg. Da wird über das "Ausverkauft!"-Schild gejubelt. Wenn unsere Aufführungen ausverkauft sind, legt man uns das als Arroganz aus, als ob wir sie nur für die Oberen Zehntausend reservieren würden.

Was kontern Sie denn jenen, die Salzburg nur als Spielplatz von "Reich & Schön" sehen?

HELGA RABL-STADLER: Ja, zu Karajans Zeiten wurde diesbezüglich bestimmt viel falsch gemacht. Da hatten alle das Gefühl: Das Festival ist nur für die Hautevolee, für die anderen, für die Ausländer. Was unter meine Ägide gelungen ist, muss auch mein Nachfolger oder meine Nachfolgerin - eine Frau wäre natürlich schön – bruchlos weiterführen: Die Festspiele müssen fest in und mit Salzburgverankert bleiben. Stadt und Land sind ein Stück von uns und wir ein Stück von ihnen.Was mich besorgt, ist die Abwertung des Begriffs Elite. Es gibt ja diesen weisen Spruch: "Elite kommt durch Leistung zustande, Prominenz durch Applaus". Natürlich besuchen uns auch Gäste, die nur prominent sind, aber für die meisten ist die Auseinandersetzung mit Kunst und Kultur essenziell in ihrem Leben.

Wie viel Einsatz für diese Auseinandersetzung braucht es vom Publikum?

HELGA RABL-STADLER: Der peruanische Schriftsteller Mario Vargas Llosa hat einmal gesagt: "Ich wünsche mir, dass meine Leser auch so einen Aufwand investieren, den ich investiert habe, das Buch zu schreiben". Jeder Künstler wünscht sich, dass man sich mit ihm und seinem Werk entsprechend beschäftigt. Wie Gerard Mortier betonte: Auf den Golfplatz oder Tennisplatz geht auch niemand, ohne auch nur irgendwas über das Spiel, über die Regeln zu wissen. Aber ins Konzert, in die Oper? Ja, das braucht Bildung, Neugier, offene Ohren und auch Anstrengung. Denn so kann es nicht sein, dass man einen Luigi Nono hört und ihn beim Rausgehen gleich nachpfeifen kann.

Von der Kultur wird wie selbstverständlich verlangt, dass sie auf das Politische antwortet – oder besser noch: die richtigen Fragen stellt. Wie sehen Sie das?

HELGA RABL-STADLER: Künstler sind nicht die besseren Politiker. Aber sie können Seismographen sein. Das ist eine hohe, feine Kunst. Frontalunterricht von der Bühne herunter, wie in einer moralischen Anstalt, darf es allerdings nicht geben. Freilich, es hätte geradezu dazu gereizt, sich mit unserem ehemaligen Innenminister auch auf der Bühne zu beschäftigen, die tagespolitischen Themen sind jedoch nie so reizvoll wie die großen Fragen, die sich überall auf der Welt stellen, Fragen zum Populistismus und Nationalismus, zum Umgang der Religionen miteinander... Da haben Kunst und Kultur die große Chance, etwas dazu zu sagen, Verantwortung zu tragen, Menschen zum Nachdenken zu bringen.

Höhepunkte der Salzburger Festspiele

Jedermann. Der Klassiker, wieder mit Tobias Moretti als Jedermann und Peter Lohmeyer als Tod. Neu ist Valery Tscheplanowa als Buhlschaft. Ab 20. 7.
Jedermann. Der Klassiker, wieder mit Tobias Moretti als Jedermann und Peter Lohmeyer als Tod. Neu ist Valery Tscheplanowa als Buhlschaft. Ab 20. 7. © APA/BARBARA GINDL
Idomeneo. Markus Hinterhäuser (links), Intendant bis 2026, mit seinem Traumduo für Mozart: Teodor Currentzis dirigiert, Peter Sellars, heuer Eröffnungredner, führt Regie. Ab 27. 7.
Idomeneo. Markus Hinterhäuser (links), Intendant bis 2026, mit seinem Traumduo für Mozart: Teodor Currentzis dirigiert, Peter Sellars, heuer Eröffnungredner, führt Regie. Ab 27. 7. © SF/Zeuner
Jugend ohne Gott. Thomas Ostermeier dramatisiert und inszeniert den Roman von Ödön von Horváth aus den 1930er-Jahren. Ab 28. 7.
Jugend ohne Gott. Thomas Ostermeier dramatisiert und inszeniert den Roman von Ödön von Horváth aus den 1930er-Jahren. Ab 28. 7. © SN/Lacombe
Médée. Für Luigi Cherubinis selten gespielte Revolutionsoper steht Thomas Hengelbrock (Foto) am Pult, für die Regie sorgt der Schweizer Simon Stone. Ab 3. 8.
Médée. Für Luigi Cherubinis selten gespielte Revolutionsoper steht Thomas Hengelbrock (Foto) am Pult, für die Regie sorgt der Schweizer Simon Stone. Ab 3. 8. © SN/Grandidier
Orphée aux Enfers. In der Operette von Jacques Offenbach führen Enrique Mazzolla (Dirigent) und Barrie Kosky (Regie, Foto) in die Unterwelt. Ab 14. 8.
Orphée aux Enfers. In der Operette von Jacques Offenbach führen Enrique Mazzolla (Dirigent) und Barrie Kosky (Regie, Foto) in die Unterwelt. Ab 14. 8. © SF/Widszus
Simon Boccanegra. Bei Verdis Melodramma leitet Valery Gergiev (Foto) die Wiener Philharmoniker, Andreas Kriegenburg liefert die Inszenierung. Ab 15. 8.
Simon Boccanegra. Bei Verdis Melodramma leitet Valery Gergiev (Foto) die Wiener Philharmoniker, Andreas Kriegenburg liefert die Inszenierung. Ab 15. 8. © APA