Ein Mann betritt eine Garage voll zugedeckter Autos, legt den Arbeitsoverall ab, schlüpft in ein Priesterkleid, vollzieht mit vier weiteren Männern, unter Vogelgezwitscher und Gedröhn, im Schein flackernder Neonröhren Reihen stummer Rituale: Gesten der Anbetung und Abwehr, Tableaux vivants, die von Verbundenheit und Aufbruch erzählen.

Schließlich kippen die fünf, wie in Zeitlupe, ein Auto. Der Vorgang ruft bekannte Bilder ab: Aber statt von Aufstand und urbaner Eskalation in den Banlieues wollen die Bilder von der Wiederaneignung ästhetischer Selbstbestimmtheit erzählen. Einer der fünf erklimmt das auf den Kopf gestellte Wrack wie eine Kanzel und beginnt zu predigen, fordert die Befreiung der Alltagsästhetik vom Primat eines überhöhten Kunstbegriffs. Einer Kunst, die das Leben „imitiert und verfälscht“, stellt dieser Prophet in der Parkgarage eine „Kunst des Gebrauchens“ entgegen.

Untersuchte heuer schon der Berliner Theatermacher René Pollesch in der Festwochen- Produktion „Deponie Highfield“ amAkademietheater die Repräsentation als Verdrängung des Eigentlichen durch sein Beispiel, wird nun in Romeo Castelluccis „La vita nuova“, in den Gösserhallen hinter dem Wiener Hauptbahnhof, die angewandte Ästhetik zum künstlerischen Territorium, das es zurückzuerobern gilt.

Der italienische Regiestar, der den Festwochen so eindringliche Produktionen wie „Orpheus und Eurydike“ (2014) und im Vorjahr den Salzburger Festspielen eine fulminante „Salome“ beschert hat, begeht hier mit seiner „Socìetas“ in der ersten von zwei aktuellen Festwochen-Gastspielen die „Erlösung der Dekoration“ als großen Bruch mit dem Konformismus der Kunstproduktion.

Dazu braucht es ein fünfzigminütiges Weihedrama nebst Nebelschwaden, Seidenteppich, Hirtenstab und griechischer Vase. Statt zum Befreiungsakt gerät die Transformation der Objekte und Rituale in ihrer enorm bedeutungsschwangeren Getragenheit hier aber zu fast selbstparodistischer Mystifikation.

La vita nuova. Gösserhallen, 1100 Wien. Termine: 31. Mai, 1. und 2. Juni. Restkarten an der Abendkasse eine Stunde vor Vorstellungsbeginn. festwochen.at